Das Grau

Text: Gipfelbasilisk
Bild: Pexels Lazy Artist Gallery
Link zum YouTube Video

Es war seine Pause von dem ewig gleichen grauen Viereck, in das er täglich Zeile für Zeile Code tippte. Er war seine langen Arbeitsphasen gewohnt, aber die Zeit an der frischen Luft, war ihm heilig. Eine Stunde Natur, Wald und nur er mit seinem ich. Bei der Arbeit, so sehr er sie liebte und in ihr versank, hörte er sich nicht. Es war eine Kopfarbeit, die jegliche anderen Gedanken beiseiteschob und keinen Raum für sein Selbst ließ.
Rausgehen um Abstand zur Arbeit zu bekommen war mit einem Wald hinter dem eigenen Haus einfach.
Einzig in dieser Übergangszeit war es schwierig. Das bunte Laub des Herbstes lag matschig am Boden und die Bäume hoben sich schwarz von dem grau des Himmels ab. Wenn wenigstens schon Schnee liegen würde oder die Sonne schien, aber so wirkte die Landschaft recht trostlos.
Es dauerte dennoch nur wenige Sekunden und er ließ die Arbeit los.
Das Krächzen einer Krähe verscheuchte den grauen Nebel, der sich über sein selbst legte, während Zeile um Zeile grün auf Schwarz schrieb und erfüllte es mit anderen Gedanken.
Er atmete tief durch und spürte die Kühle der Luft. Das Weiß würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Er hörte in seinem Geist schon das entspannende Knarzen und Knacken des Schnees unter seinen Stiefeln.
Ein Windhauch wehte seinen Mantel auf und er schnürte ihn lachend fest zu.
In der Ferne sah er zwei Menschen, die langsam auf ihn zuschritten.
Die Krähe verließ ihren Ast, segelte an seinem Haupt vorbei und ließ sich auf einen anderen, ein Stück weiter vor ihm nieder. Das Gefieder des Tieres war tiefschwarz an den Flügeln und der Kopf sowie der Körper waren aschgrau. Da war es wieder das Grau, das er mit diesem Spaziergang versuchte zu vertreiben, das ihn aber in so schönen Gewand wiederbegegnete. Das Tier spürte offensichtlich, dass es beobachtet wurde, und sah ihn aus schlauen Augen an.
»Du folgst mir wohl!«, sprach er ruhig.
Die Krähe legte den Kopf schief.
»Zieh deiner Wege schönes Tier, ich habe nichts für dich.«
Das Rabentier breitete seine Flügel aus und ließ erneut sein lautes Krächzen ertönen.
Er sah dem Vogel hinterher und lief dann weiter.
Die beiden Gestalten waren inzwischen näher gekommen, es waren ein Mann und eine Frau. Eng aneinandergeschmiegt schlenderten sie voran.
Er lächelte und schritt seiner Wege. Er lauschte auf das Rauschen des Windes, der langsam an Kraft gewann. Nahm das Patschen seiner Schuhe im matschigen Untergrund wahr. Roch das feuchte Laub, das am Boden verfiel. Sah die wenigen Farben, die zwischen der Erde hervor strahlten. Der kalte Wind ließ die Härchen auf seiner Haut stehen. Er freute sich auf den heißen Tee, den er sich nach diesem Spaziergang gönnen wurde.
Ein Stoß, er stolperte und fing sich gerade noch.
»Entschuldigen sie«, erklang die Stimme eines Mannes.
Das Paar war genauso in Gedanken versunken wie er.
»Kein Problem ich habe ja auch nicht aufgepasst. Einen schönen Tag noch.«
Ein nicken, dann liefen sie alle weiter.
Das Paar verdrängte seine Beobachtungen der Natur. Er ärgerte sich nicht über sie, doch sie waren nun Teil seiner aktiven Wahrnehmung und mit ihnen Worte, die immer wieder ihm gegenüber ausgesprochen wurden.
»Willst du dir nicht langsam eine Frau suchen? Dein Leben lang einsam und alleine, nein so geht das doch nicht! Wer kümmert sich um dich, wenn du alt wirst?«
Der damit verbundene Tonfall, der Wunsch seiner Erzeuger nach Enkelkindern war sofort präsent in seinem Kopf. Dieses nagen kam nur selten und er wünschte sich, es würde gar nicht mehr auftauchen.
»Die Hölle, das sind die anderen.« Das Zitat Satres stellte sich schützend vor ihn. Ja manchmal war das so, gerade bei nagenden Gedanken, die einem meist aufgezwungen wurden.
Er versuchte sich, wieder auf die Natur zu konzentrieren.
»Warum eine Frau suchen? Wozu? Um Kinder in die Welt zu setzen, so wie es gerade um die Umwelt steht?«, schallte es durch seinen Geist.
»Um im alter irgendwen zu haben der einen pflegt? Ein Partner war doch keine Pflegekraft!«
Bestimmt nicht. Er könnte jemanden finden, Personen die zu ihm passten, gab es sicher zu Genüge. Aber er brauchte niemanden an seiner Seite. Er war zufrieden mit sich und seinem Leben, warum etwas ändern? Die Arbeit füllte ihn aus. Seine Spaziergänge liebte er und Lebensmittel wurden geliefert. Er musste nicht einmal das Haus verlassen.
Nein die tägliche Pause war seine geliebte Pflicht. Um die Gedanken von der Arbeit zu lösen, und um sich mit seinem selbst zu verbinden, seine Wahrnehmung ungefiltert fließen zu lassen.
Er ärgerte sich nicht darüber, was das Paar in seinen Geist auslöste, aber die Natur ein wenig länger bewusst zu beobachten wäre angenehmer gewesen.
Er beschleunigte seinen Schritt. Atmete schneller, spürte das Stechen der kalten Luft in seinen Lungen.
Er lebte, es war sein leben und er war mit sich im Reinen.
Er benötigte niemanden, um glücklich zu sein, und er würde sich keine Menschenseele suchen, um dann unglücklich zu werden. Jetzt in dieser Sekunde mit dem Stechen der Kälte in der Lunge und dem lächeln auf den Lippen fühlte er sich ganz. Er war nicht falsch, falsch war das Nagen anderer, dass ihm eingeredet wurde.
Die Krähe zog weite Kreise über den Wald und ließ ihr lautes Krächzen erklingen.
Das Geräusch des wundervollen Tieres in schwarz und aschgrau verjagte die Gedanken vollends und brachte neue mit sich.
Wie eine Krähe andere Orte zu sehen wäre schön.
Bei heißem Tee würde er die Urlaubskataloge, die unter seinem Wohnzimmertisch verstaut lagen, hervorholen.
Sie wurden ihm unaufgefordert zugeschickt. Den Zettel mit dem Seitenhieb hatte er fortgeworfen, die Kataloge behalten.
Ja, er würde sich einen Urlaub gönnen, aber alleine.
Eine einzelne Schneeflocke fiel vom Himmel, hinterließ einen eisigen Stich auf seiner Nase und bestätigte seine Vermutung. Da war er, der erste Schnee. Zufrieden verlangsamte er seinen Schritt, atmete tief durch und dann spazierte er weiter.

Ende