Der Chairman des Paten

von Stephanie Helmel

Ich stehe schon lange hier. Unzähligen Ärschen habe ich bereits gedient. Mehr oder minder freiwillig. Nach meinem Begehr oder Einverständnis hat mich noch keiner gefragt. Ich bin einfach, wer ich bin. Mal Katzenkissen, mal Trittleiter zum Erfolg, doch meist der Platzhalter für Gesäßpartien jedweder Art. Lustig ist es, seit ich für den Paten arbeite.
Don Alfonso.
Offizieller Geschäftsführer einer Pizzeria im ersten Bezirk in Wien. Die beste in der Stadt, wie man sagt. Die Salami aus Ungarn, der Parmesan aus Bayern, der Pizzakäse vom Discounter aber originale Italiano!
Naja, ich hab dort nie gegessen. Aber wir hatten immer viel Besuch, bei mir im Büro. Bittsteller jedweder Art. Nur sehr selten mit allen zehn Fingern an den Händen. Gioseppe war einer der wenigen, der sie noch alle hatte. Dafür fehlte ihm ein Zeh. Er war Don Alfonsos Pianist. Ich schätze die vollständige Anzahl seiner Finger war notwendig um den Flügel im Restaurant zu bedienen. Schließlich kamen die Gäste oft direkt vor oder nach der Oper oder dem Theater zu uns.

Ach die Gäste! Ich höre sie bis hier oben!

Bepelzte Damen mit schweren Klunkern an den Fingern und Parfümwolken, die auch noch den doppelten Knoblauchrand ihrer, zumeist männlichen Begleiter übertünchten.
Junge Möchtegerns mit Dreitagebart und manikürten Fingernägeln. Nun ja, zumindest kam ihnen die Maniküre nach dem ersten oder zweiten mal, dass sie Don Alfonso verärgert hatten, immer billiger. War das immer eine Sauerei!
Aber der Pate saß da, mit unberührter Miene und kraulte seinen fetten, roten Kater. Pepe hieß er. Der fette, einäugige Pepe. Er hatte noch beide Augen. Aber wenn er sauer war, dann kniff er das linke so klein zusammen, dass es fast verschwand. Ich denke, dass war der Grund für seinen Spitznamen.
Aber meine Fragen werden wenn, dann nur zufällig beantwortet.
Die Zeit, in der ich noch sprechen konnte, ist lange vorbei. Ich kenne den Namen des Mannes nicht, der mir die Stimme nahm und mir diverse Körperteile deformierte. Zum Glück hatte man mich davor bewusstlos geschlagen.
Als ich wieder erwachte, verwirrt und meiner familiären Wurzeln beraubt, war ich hier. Seither diene ich als Büromitarbeiter. Vor Don Alfonso war hier die Schreibstube eines Anwalts. Wenn ihr jetzt denkt, dass das einen Gesellschaftlichen Abstieg für mich bedeutet hat, dem war nicht so. Nun, doch. Gesellschaftlich schon. Aber mein Gewissen ist entschieden leichter, seit ich für die Mafia tätig bin und nicht mehr für Juristen.
Don Alfonso hat alles verändert, als er hier einzog. Den wuchtigen Schreibtisch hatte der Anwalt mitgenommen, ebenso wie den alten, schön geschnitzten Sekretär. Nur die Wanduhr ist geblieben. Mit dem kleinen Kuckuck darin. Der hagere Luigi hat dem kleinen Schreihals eine Piripiri in den Schnabel gestopft. Er nervt ihn trotzdem noch, was sehr zu meiner Erheiterung beiträgt. Luigi ist ein Mistkerl. Spioniert heimlich für die Balkan-mafia.
Aber Don Alfonso weiß Bescheid… und wenn die Kuckucksuhr wieder krächzt, wird Luigi mehr als nur einen Finger verlieren.
Ich werde dann noch immer da sein. Stummer Zeuge. Sehe alles. Die Polizei interessiert sich nicht für einen sprachlosen Krüppel wie mich. Wenn die wüssten…
Don Alfonso dreht sich auf mir. Pepe schnurrt… und ich?
… bin nur ein Stuhl, werde sie alle überleben.
Ich ächzte vorfreudig, denn Luigis Schritte nähern sich…