Der goldene Schlüssel
Text von Phalinea nach dem Märchen der Goldene Schlüssel der Gebrüder Grimm
Beitragsbild von Todd Trapani gefunden auf Pexels nachbearbeitet von Gipfelbasilisk
Zur Winterszeit, als einmal ein tiefer Schnee lag, mußte ein armer Junge hinausgehen und Holz auf einem Schlitten holen. Wie er es nun zusammengesucht und aufgeladen hatte, wollte er, weil er so erfroren war, noch nicht nach Haus gehen, sondern erst Feuer anmachen und sich ein bischen wärmen. Da scharrte er den Schnee weg, und wie er so den Erdboden aufräumte, fand er einen kleinen goldenen Schlüssel. Nun glaubte er wo der Schlüssel wäre, müßte auch das Schloß dazu sein, grub in der Erde und fand ein eisernes Kästchen. ‘Wenn der Schlüssel nur paßt!’ dachte er, ‘es sind gewiß kostbare Sachen in dem Kästchen.’ Er suchte, aber es war kein Schlüsselloch da, endlich entdeckte er eins, aber so klein daß man es kaum sehen konnte. Er probierte und der Schlüssel paßte glücklich. Da drehte er einmal herum, und nun müssen wir warten bis er vollends aufgeschlossen und den Deckel aufgemacht hat, dann werden wir erfahren was für wunderbare Sachen in dem Kästchen lagen.
Der Junge hob den Deckel an, der den Versuch des Öffnens mit einem leichten Quietschen der verbauten Scharniere quittierte.
Dieses Kästchen musste schon lange unter dem Schnee und der Erde verborgen gewesen sein, denn das Eisen aus dem es gefertigt worden war, hatte längst an einigen Stellen seine Farbe gewechselt, weg von einem ebenmäßigen, glänzenden Grau hin zu einem rauen, offenporigen Rostrot.
Leider hatten auch die Scharniere mittlerweile diese Farbe angenommen und wollten sich bei Leibe nicht bewegen lassen, ganz egal wie sehr er es versuchte.
Es blieb dem Jüngling leider nichts Anderes übrig, als das Kästchen vorerst ruhen zu lassen. Er verstaute es behutsam auf dem, mit Holz beladenen, Schlitten und versteckte es hinter einem Holzscheit, dass er ohne Mühe aus der Masse herausziehen konnte. Den Schlüssel jedoch, den befestigte er am hervorstehenden Ende der dünnen Kordel seines Hemdes, welche dazu gedacht war das Selbige an seinem Leib zu halten
Der Junge musste warten bis er wieder zuhause war, ehe er sich weiter mit dem Kästchen und dem Schlüssel befassen konnte. Das war ihm klar.
Er nahm sich etwas Holz von dem Schlitten und bereitete sich ein Lager mit dem Versuch die Kälte des Winters wieder aus seinen Knochen herauszutreiben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten loderten nun die Flammen des kleinen Feuers verführerisch empor und hüllten die umliegende Schneelandschaft in ein wärmendes Licht.
Es war schon spät geworden an diesem Tag, doch dies bemerkte der Junge erst nachdem sich seine Augen so sehr an die neue Lichtquelle gewöhnt hatten, dass der Rest des Waldes langsam in immer dunkler werdende Schatten versank.
Während sich langsam seine Glieder wieder erwärmten und die Kälte um ihn herum erträglicher wurde, gab er sich immer weiter seinen Gedanken hin, ohne dass es ihm bewusst war.
Was wäre, wenn er einfach hier sitzen bleiben würde?
Was wäre, wenn er Scheit um Scheit für dieses Feuer aufbringen würde, damit es nicht wieder erlischt? Was wenn doch? Wer würde sich daran stören, wenn er einfach nicht wieder zurückkommt?
….. wahrscheinlich niemand…
Diese Erkenntnis war ihm schon vor langer Zeit gekommen, doch konnte er sich nicht daran gewöhnen.
Die Hütte, die auf ihn wartete stand kalt und leer am Rande dieses Wäldchens auf einer kleinen Lichtung. Früher war dieses Gebäude immer mit Leben und Wärme gefüllt, doch seitdem seine Eltern von ihm gegangen sind, bleib er Tag ein und Tag aus alleine zurück.
Die nächste Siedlung war beinahe vier Tagesreisen entfernt, sodass er nicht einfach so nach Erledigung seines Tagewerkes in der nächsten Schenke einkehren konnte, um sich an der Gemeinschaft zu erfreuen. Wahrscheinlich würde er es auch nicht tun, wenn er es könnte. Er war nie sehr begabt im Umgang mit anderen Menschen. Meist waren sie ihm zu laut, zu betrunken, zu aggressiv, zu übergriffig.
Früher wohnte er mit seinen Eltern näher an der Siedlung, doch diese entschieden das es besser wäre weiter in Richtung des Waldes zu ziehen.
Weg von den Menschen. Weg von der Gemeinschaft. Weg von ihm…
Dem Jungen wurde das Herz ganz schwer, als er an diesem Teil der Geschichte innehielt. Zu oft gelangte er in seinen Erinnerungen hier her, wohlwissend, dass er nichts an der Vergangenheit ändern kann. Es schmerzte ihn zu sehr, sich immer wieder die Liebe ins Gedächtnis zu rufen, die für ihn doch immer unerreichbar bleiben wird…
Gedankenverloren schaute er in die tanzenden Flammen und vergaß ein Stück weit die Welt um sich herum. Erst als das verbrannte Holz sich vollends in glühende Kohlen verwandelt hatte stand der Junge auf, verstaute seine Habseligkeiten und richtete seine Kleidung. Dabei berührte er unweigerlich die Kordel an seinem Hemd und den daran befestigten Schlüssel.
Er löste den Knoten, wiegte den Schlüssel eine kleine Weile in der Hand und versank erneut kurz in seinen Gedanken.
Seine Finger schlossen sich zur Faust und hielten den Schlüssel nun gefangen. Der junge Mann hob eben diese Hand warf den kleinen goldenen Schlüssel soweit er konnte in den Wald.
„Du wirst einer anderen Seele Glück bringen!“ murmelte er beinahe unhörbar. Nun drehte er sich genau in die entgegengesetzte Richtung, schloss einen Mantel enger um den Leib und lief den Schatten des Waldes entgegen.
Vergessen war der Schlitten. Vergessen war das Kästchen. Vergessen war der Schlüssel.