Die kleine Hexe Nadia und die Eumel
Text von chaotisch_aber_liebenswert
Bild erstellt mit Midjourney
Es war ein sonniger Nachmittag Ende September. Der Herbst hielt langsam Einzug auf diesem Teil der Erde. Das machte sich auch immer mehr in dem kleinen Wäldchen, wo ein kleines windschiefes Hexenhäuschen stand, bemerkbar. Dieses kleine Hexenhäuschen war das zu Hause der kleinen Hexe Nadia und ihren Seelentieren Charls dem Chamäleon und Axolotl Axel. Die Blätter zeigten sich in ihren prächtigsten Farben, angefangen mit einem satten Senfgelb, gefolgt von einem leuchtenden Orange bis zu einem feurigen Rot.
Apropos feurig, Nadias bester Freund Luz, seines Zeichens Teufel in Ausbildung, und sein Seelentier Kakerlake Hannelore, waren diesen Nachmittag bei Luz Onkel Luzifer zum Laubharken geladen. Was tut man nicht alles, um seinen berühmt berüchtigten Onkel milde zu stimmen und nicht gegen sich aufzuwiegeln. Eigentlich mochten Luz, die kleine Hexe und Onkel Luzifer sich echt gerne, aber man sollte niemals einem Teufel trauen, und vor allem nicht dem Teufel.
Die kleine Hexe trat aus ihrem windschiefen Hexenhäuschen hinaus in ihren kleinen, aber feinen Wild-Wuchs jede Hexe muss einen Kräutergarten haben, Garten. Sie streckte ihre Arme in Richtung Himmel, reckte sich, und atmete tief ein und aus. Charls, das Chamäleon, hatte es sich auf der kleinen windschiefen Fensterbank des Hexenhäuschens gemütlich gemacht. Auch er streckte genüsslich seinen Kopf in die Höhe und seufzte, so ein zufriedenes wohliges seufzten. So wie er es nach einer Tasse heißer Schokolade mit Sahne und Marshmallows an einem stürmischen Winterabend vor dem Kamin, eingekuschelt in flauschige Decken, sonst tat.
„Ist es nicht herrlich hier Draußen?“ Vergnügt schaute die kleine Hexe den beiden Eichhörnchen zu, die an der großen, alten und sehr prächtigen Eiche auf und ab sausten, sich gegenseitig um die Wurzeln jagten oder um waghalsige Sprünge von Ast zu Ast zu wagten.
In ihren Gedanken versunken spazierte Nadia durch ihren kleinen Garten. Eigentlich wollte sie nach Engelwurz suchen, um der netten alten Dame aus dem Dorf eine Tinktur gegen ihre schmerzenden Beine zu Brauen, als sie auf einmal einen dumpfen Schmerz verspürte, weil sie ihren Fuß, eher gesagt ihren großen Zeh, an der dicken Wurzel der alten Eiche gestoßen hatte.
„Aua!“ entfuhr es ihr, und sie beugte sich hinab, um nach ihren Zehen zu schauen. Die Füße der kleinen Hexe steckten wie immer in selbst gestrickten Socken, denen konnte weder Regen noch Kälte etwas anhaben, große Wurzeln wohl aber schon.
Auf halber Strecke zu ihren Zehen hielt Nadia inne. Etwa auf Kniehöhe, auf der großen Wurzel der Eiche, wo die vielen schönen bunten Pilze wuchsen, sah sie ein kleines Wesen sitzen. Bei genauerem betrachten, saß dieses kleine Wesen nicht vor den bunten Pilzen, sondern vor bunten Pilzhäuschen. Sie hatten doch tatsächlich eine kleine Tür und passend dazu, kleine Fenster.
Diese Wesen hatte eine Art Leuchtfühler auf dem Kopf und hinten eine leuchtende Schwanzspitze. Die meisten verschwanden schlagartig in ihren Pilzhäuschen oder zwischen den Wurzeln der alten Eiche. Die kleine Hexe musste sie irgendwie verschreckt haben. Nur eines blieb gelassen auf seinem Platz sitzen und schaute die kleine Hexe freundlich und aufgeschlossen an.
Nadia, die ihren schmerzenden Zeh inzwischen komplett vergessen hatte, sah sich in Bodennähe um, ob nicht zum Beispiel die Eichhörnchen gerade vorbei tollten oder sich eine Haselmaus über eine Eichel her machte. Als sie das ausschließen konnte, ließ sie sich vorsichtig auf dem Waldboden nieder.
Sie saßen sich nun, quasi auf Augenhöhe, gegenüber. Das kleine Wesen und die kleine Hexe schauten sich, gleichermaßen fasziniert, freundlich und respektvoll an.
Nadia konnte sich gar nicht satt sehen, an dem kleinen erstaunlichen Wesen, was vielleicht zwischen 8 bis 13 cm Maß, aber sie wagte es und sprach es an: „Hallo, du schönes Geschöpf, ich bin Nadia, die kleine Hexe. Das Chamäleon auf der kleinen Fensterbank, was da gerade schnarcht, ist Charls und drinnen ist noch Axolotl Axel. Magst du mir vielleicht auch deinen Namen verraten?“
Das kleine Wesen lächelte Nadia entgegen und sprach mit einer klaren und melodischen Stimme: „Ich bin Runa, und ich bin ein Eumel.“ Runa zwinkerte der kleinen Hexe zu. Sie muß wohl geahnt haben, was Nadias nächste Frage gewesen wäre, die der kleinen Hexe unter den Füßen kitzelte.
Die kleine Hexe zog ein bisschen ihre Nase kraus. Das tat sie immer, wenn sie angestrengt nachdachte. Dann fragte sie Runa verdutzt: „Ein Eumel?“ Nadia ging vor ihrem inneren Auge sämtliche Wesen durch, die sie schon einmal gesehen, gehört oder von denen sie im großen Hexenbuch gelesen hatte. Zugegeben, im großen Hexenbuch war sie nun noch nicht sonderlich weit gekommen, sie gehörte eher zu den Hexen die gezielt suchen, oder suchen lassen denn Luz liebte das alte Buch, aber sie schwor sich, wieder mehr an dem Buch zu arbeiten. Da viel es ihr ein: „Luz hatte doch mal unter Hüter der Natur im großen Hexenbuch Eumel erwähnt“, murmelte sie für Runa hörbar vor sich her, „Sie wären gute Hüter für den Garten?“, wagte sie, sich zu erinnern. Allerdings waren Eumel mit dem Vermerk ›selten‹ versehen worden, daher hatten die beiden Freunde davon abgesehen, nach diesen Wesen zu Suchen. Insgeheim hoffte Nadia damals bei der Aktion, irgendwelche Wichtel oder Waldschrate ausfindig zu machen, die ihr mit ihrem Wild-Wuchs, jede Hexe muss einen Kräutergarten haben, Garten unter die Arme greifen würden, wenn Luz zu sehr in teuflische Angelegenheiten eingebunden war.
Runa kickst und kicherte. Die Beschreibung „Nützlich für den Garten“ empfand sie schon als sehr lustig. Das hörte sich für sie eher nach den den Wollspinnen oder besser noch nach den Kleckerfliegen an, die wie die Eumel aus dem Riss stammten, als nach ihr.
Die kleine Hexe errötete. „Auf der Seite wo ihr Eumel herkommt und die Informationen, was euch ausmacht, war ich doch noch gar nicht angekommen.“ Beschämt verfärbten sich Nadias Wangen so feuerrot wie die Blätter der Ahornbäume, die rund um das windschiefe Hexenhäuschen verteilt wuchsen. „Luz hatte sie nur grob überflogen.“ Die kleine Hexe blickte verunsichert Richtung Boden, wo ihr Zeh wieder schmerzhaft zu Pochen begann.
„Das macht doch rein gar nichts!“, versicherte ihr Runa. Sie lächelte und ihre Fühler und die Spitze ihres Schwanzes begannen in einem gleichmäßigen und beruhigendem Rhythmus an zu leuchten.
Eine Brise frischer Waldluft umfing nun die beiden und sofort verschwand der unangenehme Kloß im Hals, der sich aus Verlegenheit in Nadias Hals gebildet hatte, und die Rötung verschwand langsam aber stetig von ihren Wangen.
„Vielen Dank!“, sagte die kleine Hexe. „Wie hast du das denn gemacht?“
„Tja, wir Eumel stecken halt voller Geheimnisse.“ Runa lächelte und auch die kleine Hexe hatte ihr Lächeln wieder gefunden.
„Aber ich habe doch so viele Fragen,“ sagte die kleine Hexe. „Ok, ihr stammt aus dem Riss,“ das mit den Wollspinnen und Kleckerfliegen musste sie unbedingt im Hinterkopf behalten, „aber was macht ein Eumel? Wie alt werdet ihr? Wohnt ihr in den tollen Pilzen? Was esst ihr? Könnt ihr essen? Sprechen könnt ihr.“ Innerlich setzte die kleine Hexe hinter diese Frage einen grünen Haken. „Warum leuchtet ihr? Leuchtet ihr alle? Was bedeutet das?“ Als die kleine Hexe tief Luft holte, um noch mehr Fragen zu formulieren, unterbrach sie Runa.
„ Immer mit der Ruhe,“ sprach Runa. „Es ist doch ganz einfach, wir sind gut für den Garten. “ Runa kicherte erneut. „Im Ernst Nadia, magst du mich mit zu deinem Hexenbuch nehmen? Ich denke mit dessen Hilfe lassen sich deine Fragen zum Teil recht gut beantworten und den Rest werde ich ergänzen.“
Auf einmal sauste eine Wolke über den Himmel, der den sonnigen Nachmittag inzwischen gegen einen sternenklaren Abend getauscht hatte, bog ab, hinab in den Schornstein, und plötzlich war ein lautes Rumpeln und Scheppern zu hören.
Charls erwachte aus seinem Schläfchen und wäre vor Schreck fast von der Fensterbank gefallen. „Luz und Hannelore sind zurück,“ stellte das verschlafende Chamäleon etwas mürrisch und launisch fest, er hasste es geweckt zu werden.
„Perfekt,“ sagte die kleine Hexe. Sie senkte ihre Handfläche, Runa hüpfte behände hinauf und die drei, Nadia, Runa und Charls, verschwanden im kleinen windschiefen Hexenhäuschen.
Durch das kleine Seitenfenster schwebten 5 Stängel Engelwurz und landeten auf dem Küchentisch. Runa hatte nicht vergessen, warum die kleine Hexe ursprünglich in ihren Garten gegangen war. Tja, vielleicht hatte das Hexenbuch nicht ganz unrecht mit gut für den Garten.
Ende