Found World
Text: StefShepardRox
Bild: Pexels Tsvetoslav Hristov
Ina seilte sich steil ab. Die Felsspalte in der Höhle, die sie gerade erkundete, war tiefer als gedacht. Sie brauchte viel Seil, ehe sie festen Boden unter den Stiefeln fühlte. Ihre Helmlampe fand kaum die nächsten Wände. Sie holte Knicklichter aus dem Rucksack, knickte sie und verteilte sie auf dem Boden. Der Untergrund war geröllbedeckt, zwischen diesem ragten Stalagmiten empor, deren Counterparts von der fernen Decke hingen. Vorsichtig ging sie zur nächsten Wand und folgte ihr. Sie hoffte, auf Neandertalerknochen und Steinwerkzeuge zu stoßen. Als Archäologin interessierte sie das weitaus mehr, als Gesteinsarten und Geröllbrocken. Damit durften sich die Geologen und Höhlenforscher herumschlagen. Der Lichtkegel ihrer Helmlampe verlor sich in der Ferne. Sie hatte eine Öffnung im Fels gefunden. Schmal aber breit genug, um durch zu gehen. Ein seltsam grünliches Leuchten ging von dem Felsspalt aus, der eigene Lichtkegel blieb verschwunden, solange sie in den Spalt leuchtete. Sie betätigte ihr Funkgerät. “Hey Malte, hier ist ein Felsspalt, ich seh mir das mal an. Kannst so lange Mike und Lilly und das Equipment hier runter schicken. Over!”
“Roger Ina. Sei vorsichtig. Keine alten Höhlenbären wecken und so. Over!”
“Werds versuchen. Over and out.”
Sie nahm die stärkere Stabtaschenlampe aus ihrem Rucksack und knipste sie an. Auch deren Lichtkegel verschwand im Spalt. Die Neugierde endgültig geweckt, schob sie sich hindurch. Geröll knirschte unter ihren Bergschuhen. Ina schob sich weiter vorwärts. In der Ferne hörte sie leises Rauschen und dann wurde die Welt grell…
Ina schirmte ihre Augen mit dem Unterarm ab und wartete, bis sich die Augen an das Licht gewöhnt hatten. Es dauerte einige Augenblicke, dann sah sie grün und blau und grau und bunt. Vor ihr erstreckte sich hohes Gras mit Wildblumen und seltsamen Pflanzen, die sie so noch nie gesehen hatte. Alle irgendwie … Riesig. Ein Fluss schlängelte sich durch das Grün, der ein Stück entfernt in einen Teich mündete, in den von einer nahen Anhöhe, Wasser hinab stürzte. Malerisch. Sie wandte sich um und da war die Höhlenwand mit dem Spalt, der auf dieser Seite leicht bläulich flackerte. Sie zog die Riemen ihres Rucksacks fester und stapfte los zum kleinen See. Das Wasser sah klar aus und verlockend. Sie kniete sich ans Ufer und schöpfte mit der hohlen Hand etwas davon an ihre Lippen. Es schmeckte köstlich. Ursprünglich, als wäre es direkt einer Werbung für stilles Urzeitmineralwasser entsprungen. Der Boden zitterte. Kringel bildeten sich auf der Wasseroberfläche. Ina erstarrte. Ihre Augen suchten panisch die Umgebung ab. Was auch immer das Beben verursachte, schien näher zu kommen. Sie duckte sich hinter ein paar Schilfbinsen und machte sich so klein wie möglich.
WUMM. WUMM. WUMM.
Es platschte in ihrer Nähe, das Wasser wirbelte auf, doch die Erschütterungen hatten aufgehört. Vorsichtig lugte sie um das Schilf herum. Da stand etwas Großes, das war klar. Ein Wildschwein oder einer dieser riesen Elche, die es im Norden gab? Sie sah braune, verfilzte Zotteln in den Himmel aufragen. Es müffelte. Oder besser, es büffelte. Roch wie die Büffel im Tierpark. Es war aber größer als ein Büffel, alleine eines der Beine schien fast so breit wie Ina zu sein. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie auf ein Mammut tippen. Aber die waren längst ausgestorben. Das haarige Ding wandte seinen Kopf in ihre Richtung und da waren sie. Die riesen Elfenbeinstoßzähne, die bestimmt problemlos einen Kleinwagen aufheben könnten. Die großen Knopfaugen des Mammuts starrten in ihre staunenden Menschenaugen. Sahen ihr tief in die Seele, wandten sich ab und das Tier trank weiter.
“Hammer,” flüsterte sie zu sich selbst. “Einfach Hammer.” Sie griff zu ihrem Walkie Talkie und funkte Malte an, konnte ihn aber nicht erreichen. Bestimmt zu viel Fels dazwischen, mutmaßte sie. Das Mammut wandte sich ab und trottete davon. Fasziniert sah Ina ihm nach und beobachtete als erster Mensch seit Jahrtausenden zum ersten Mal, wie ein Mammut einen Riesen Haufen fallen ließ. Sie zückte ihr Handy und machte Fotos. Zwar bekam sie so nur noch einen Mammutpo vor die Linse, aber sie würde später mehr machen. Sie sollte am besten gleich Malte und die Anderen holen. Alleine war es hier vielleicht zu gefährlich. Wer wusste schon, was hier unten noch so überdauert hatte, in dieser verlorenen Welt. Nein, korrigierte sie sich, in dieser wiedergefundenen Welt.
Sie sah sich um, bemüht sich die Gegend einzuprägen, um den Weg zurück zum Spalt zu finden. Als sie einigermaßen überzeugt davon war, dass sie den Ort wiederfinden würde, lief sie dem Mammut hinterher, dass gut zweihundert Meter entfernt, graste. Sie schlich sich an, um bessere Fotos zu schießen, und kauerte sich neben den Stamm einer mächtigen Kiefer. Ein Grashalm kitzelte sie frech an der Nase. Allen Unterdrückungsversuchen zum Trotz entfleuchte ihr ein Niesen. Das Mammut schrak hoch und sah sie vorwurfsvoll an. Ina starrte zurück und lächelte entschuldigend. Das Herz hämmerte in ihrer Brust, beim Anblick der Stoßzähne. Das Mammut kam einen mächtigen Schritt auf sie zu, streckten den Rüssel aus und begann an ihr zu schnuppern. Den tierischen Forschungsdrang befriedigt, wandte es sich wieder ab und fraß weiter. Ina atmete erleichtert aus, da traf sie etwas am Kopf.
“Au!”
Ein Kiefernzapfen purzelte ins Gras. Sie folgte ihm mit ihren Blicken und sah dann hoch. Dort saß das größte Eichhörnchen, das sie je gesehen hatte. Es keckerte sie an und entblößte Säbelzähnchen in der Länge von kleinen Taschenmesserchen. Ina wich vor Schreck zurück, stolperte über eine Wurzel und landete unsanft auf ihrem Po. Das Hörnchen kam vom Baum gehuscht und baute sich weiter schimpfend und keckernd vor ihr auf. In Ermangelung einer besseren Idee griff sie langsam nach dem Kiefernzapfen und hielt ihn dem Tier entgegen. “Da, nimm schon, ist deiner, ich nehm ihn dir nicht weg.”
Das Hörnchen starrte sie argwöhnisch an, fasste sich ein Herz, sauste vor, krallte sich den Zapfen, griff ihn mit den Säbelzähnchen und floh so schnell es konnte auf den nächsten Baum. “Wow. Ihr seid ja auch schon seit hundert Millionen Jahren ausgestorben. Dachte ich,” wisperte sie dem Hörnchen leise hinterher. “Ich hab da erst letztens was gelesen, dass man eure Knochen in Argentinien gefunden hatte. Cronopio dentiacutus glaube ich. Hammer. Ich muss dich unbedingt mitnehmen. Dentiacutus… Cute-us. Ich nenn dich Cutey”
Sie nahm ihren Rucksack von den Schultern und angelte das Studentenfutter heraus. Das Hörnchen saß über ihr auf einem Ast und knabberte die Samen aus dem Zapfen. Dabei rieselten feine, holzige Stückchen herab. Fertig mit dem Zapfen, ließ es diesen achtlos erneut zu Boden fallen und sah sich um.
Das seltsame Wesen hielt ihr etwas entgegen. Zuvor hatte es ihr den Kiefernzapfen gereicht, vielleicht hatte es ja erneut glück.
Der pelzige Nager gab sich einen Ruck und kletterte behände vom Baum. Zaghaft aber deutlich neugieriger als zuvor, näherte es sich Ina. Die Forscherin warf ihm vorsichtig einen Walnusskern zu. Das Hörnchen schnupperte, griff ihn sich und verputzte ihn binnen Sekunden.
Wo das herkam, schien es mehr zu geben. Mutig kam es näher.
Cutey setzte sich direkt vor Ina auf den Boden. Sie reichte ihm eine Rosine. Damit war das Eis gebrochen. Das Säbelzahneichhörnchen fraß ihr nun aus der Hand und als sie die Nusspackung wegsteckte, kletterte es frech auf ihre Schulter. Es war überraschend schwer. Hoffentlich würde es sie nicht beißen, diese Zähnchen sahen wirklich fies aus.
Sie sollte zurück zu Malte und den Anderen. Ob Cutey bei ihr bleiben würde? Den ganzen Weg zurück und nach oben? Nun, es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Sie erhob sich und spazierte los, wo sie meinte, sich den Spalt in der Wand gemerkt zu haben. Kurz davor raschelte es hinter ihnen im Gebüsch. Ina wandte sich um und starrte in die klugen Augen eines Deinonychos. Seine messerscharfe Zehenklaue tippte herausfordernd auf den Boden. Ina rannte, griff sich den Stamm des nächsten Baumes und schlitterte darum herum. Sie hörte einen dumpfen Aufprall, als der muskulöse Dinosaurier dagegen prallte. Dinos. Verdammte Dinos! Sie war Archäologin, mit Dinos hatte sie nichts am Hut!
Da, der rettende Spalt! Sie hielt darauf zu. Hinter sich hörte sie die schweren Schritte des Sauriers durchs Unterholz brechen. Sie rutschte durch das bläuliche Schimmern. Der Dino prallte gegen die Wand. Er war zu dick. Cutey fauchte ihn an.
Jetzt erst bemerkte Ina den Schmerz, da, wo das Hörnchen die Krallen haltsuchend durch ihre Kleider und haut gebohrt hatte. Nun, besser du als der hungrige Kerl da draußen!
Sie stolperte im Dunkeln auf die Knicklichter zu. Dort stand Lilly und winkte ihr.
“Was war das für ein Lärm?”
“Dino, irgendein Raptor oder so.”
“Hah. Ja klar. Du mich auch. Wer ist denn dein flauschiger Freund?”
Ina tätschelte das Hörnchen sanft zur Beruhigung. “Das ist Cutey. Der kommt mit uns.” Sie trat in den bläulichen Lichtschimmer der Knicklichter und Lilly wich zurück.
“Wow. Das ist ja ein riesen Hörnchen!”
“Jup. Mit Säbelzähnen.”
“Hah. Ja, klar. Komm, hilf mir mit der Ausrüstung.”
Hinter ihnen rumpelte es, als sich der Deinonychos weiter gegen den Felsspalt warf. Geröll rieselte herab und kleinere Gesteinsbrocken. Es grollte und eine Dreck und Staublawine ergoss sich über den grün schimmernden Spalt. Das Leuchten verschwand. Man hörte gedämpftes Schnauben und Brüllen von der anderen Seite.
“Da kommen wir nicht durch. Ein Glück, dass du wieder zurück bist. Was war dahinten? Ein Bär?”
“Glaubst du mir ja doch nicht. Aber ohne Elefantenbetäubungsgewehre gehen wir da nicht durch.”
“Du meinst das ernst?” Lilly musterte sie kritisch im bläulichen Zwielicht.
“Säbelzahneichhörnchen lügen nicht. Komm jetzt, bevor uns noch mehr um die Ohren fliegt.”
“Aber…!”
“Jetzt Lilly.” Inas blick duldete keinen Widerspruch.
Ina entdeckte eine kleine Öffnung, wo zuvor der Spalt war, und streute noch ein paar Nüsse aus, für den Fall, dass Cutey Gefährten hatte, die vor Dinos flüchten mussten. Dann kletterten die drei nach oben.
Salzburger Nachrichten, vierter Mai 2025
Das ausgestorben geglaubte Säbelzahneichhörnchen weiter auf dem Vormarsch. Zoolog*innen haben herausgefunden, dass es sich mit dem gewöhnlichen, heimischen Eichhörnchen paaren kann. Mischformen machen heimische Wälder unsicher. Wanderer aufgepasst. Die pfiffigen Hörnchen kennen keine Furcht und schrecken nicht davor zurück, Wanderrucksäcke und Lunchboxen zu plündern. Das Amt für Katastrophenschutz gibt jedoch Entwarnung. Sie seien absolut ungefährlich für Menschen und Haustiere. Geben sie nur rauf ihre Hunde acht, falls diese sie jagen sollten. Sie setzen sich zur Wehr.
London Times, May 4th, 2030.
Sabertoothsquirrel voted for loveliest pet 2030. … Züchtern gelang eine Kreuzung mit lockigem Fell und noch buschigerem Schwanz. Neue Hörnchensportart gegründet: Squirrgility stellt das Geschick von Mensch und Hörnchen auf die Probe.
ENDE