Silvesterabend

Text von mir.
Bild von Pexels von Pixaby
CN: Tierleid (indirekt)

Slamius war genervt. Er wartete schon seit Wochen auf seine Bestellung. Er öffnete die App. Das Paket wurde ihm als zugestellt angezeigt. Zugestellt aber wo?
Er hatte sich extra den Tag frei genommen und war den ganzen Tag zu Hause gewesen. Doch der Paketdienst hatte nicht geklingelt und auch vor der Tür lag kein Paket. Er öffnete die App, scrollte nach unten und sah sich den Sendungsverlauf noch einmal genau an. Ein Foto zeigte den Ablageort. Seine Haustür. Mist, wurde das Paket etwa in der kurzen Zeit schon geklaut?
Erst ein Knall, dann ein zweiter. Viel zu früh. Ihn nervte das Geballer, ganz grundsätzlich. Ein Hund bellte und winselte dann. Wenn man abends, wenn es dunkel war, für die Kinder etwas frühzeitig zündete, war es nachvollziehbar, aber so? Der Abend war für viele Tiere sowieso schon die Hölle.
Egal, das Paket, wo war es, er brauchte es dringend für heute Abend. Andernfalls müsste er ein Jahr warten für einen neuen Versuch.
Er schloss die Augen, ließ seinen Geist wandern. Er hatte sich diese Kräutermischung für seinen speziellen Zweck, von einer kleinen Teemanufaktur mischen lassen. Er wusste, was drin war und er kannte die verschiedenen Signaturen der Kräuter.
Ein feiner, violetter Faden materialisierte sich vor seinem geschlossenen Auge.
Er öffnete sie und sah, dass der Faden von seiner Türschwelle auf den Weg vor seinem Haus führte und dann sich auf den Feldweg ausdehnte.
Er folgte dem Faden. Mit jedem Schritt wurde er immer dicker.
Ein knurren. Ein Tier?
Er sah sich um, aus einem alten Betonrohr in einem Hügel sah ein Schäferhund heraus und knurrte ihn an. Der Faden verschwand hinter dem Tier in der Röhre.
Na toll. Er atmete tief durch. Das Tier war verschreckt. Ein weiterer Knall, es zuckte zusammen und bellte, als ob er der Verursacher der Geräusche wäre.
»Ganz ruhig, ich will dir nichts tun!«, sprach Slamius sanft und konzentrierte sich dabei auf den Geist des Tieres. Je mehr er sich konzentrierte, desto mehr nahm er die Ängste des Tieres wahr. Der Hund war schon vor mehreren Wochen von zu Hause ausgebüchst, sein Herrchen war kein guter Mann gewesen.
Slamius überlegte, das Tier war intelligent. Er versuchte es mit der Wahrheit.
»Du brauchst dich vor mir nicht zu fürchten«, sprach er im Geist des Hundes und hob beruhigend die Hände. »Die Menschen feiern heute ein Fest, das Silvester heißt. Es werden heute Abend viel mehr Geräusche ertönen und Lichter am Himmel erscheinen. Wenn du dich davor fürchtest, darfst du gerne die Nacht in meinem Schuppen verbringen.« Während er sprach, zeigte er dem Hund dabei, das, was er sprach als Bilder. Andere Beschwörer arbeiteten ohne Sprache, wenn sie mit Tieren sprachen, aber er war am Anfang und musste noch zusätzlich verbalisieren, was er vermitteln wollte.
Das Tier verharrte in seinem Knurren und musterte ihn mit intelligenten Augen, zog sich aber nicht zurück.
»Hör zu, ich werde dir nichts tun, aber ich brauche ein Paket, dass in dieser Röhre ist!«

»Beute!«, hallte es als Antwort in seinem Geist, die Tiere schnappten so manches Menschliche Wort auf und im Geist vermochte dieses sie auszusprechen.
Mist, der Hund hatte sich das Paket wirklich geschnappt.
»Ich gebe dir Essen und einen Unterschlupf, wenn du mir das Paket gibst«, sagte er im Geist des Tieres und zeigte einen Napf mit Futter. Als Tierpfleger hatte er immer etwas im Haus.
»Nein, Menschen böse!«
»Ja viele von uns gehen mit euch nicht gut um! Ich bin aber anders!« Er zeigte ihm Bilder von seiner Arbeit.
Das Tier zögerte, trat dann aber langsam in die Röhre und kehrte mit dem Paket im Maul zurück.
»Du darfst es behalten bis ich dir Futter gegeben habe okay?«
Das Tier nickte zur Antwort.
Slamius sah das Paket prüfend an. Bis auf Bissspuren, Dreck und ein wenig Feuchtigkeit, schien es intakt zu sein.
Er drehte sich um und ging zu seinem Haus zurück. Der Hund folgte ihm in einem sicheren Abstand.
Slamius lächelte, das war einfacher als gedacht. Die jahrelangen Vorbereitungen, nachdem er auf Magie gestoßen war, sollten endlich Früchte tragen.
Er öffnete das Tor zu seinem Garten und harkte es ein. Zum Hund gewandt sprach er in Gedanken: »Das Tor wird offenbleiben, nutze meinen Garten und den Schuppen, wenn du Unterschlupf brauchst.«
Der Hund folgte zögerlich.
Slamius sah aus dem Fenster, während er einen Napf mit Essen und Wasser vorbereitete. Der Schäferhund sah müde aus. Er trat in den geöffneten Schuppen, legte das Paket ab und zog sich ein Draußenkissen in die Sonne, die für diesen Tag überraschend warm vom Himmel herabstrahlte. Slamius lächelte, die Kommunikation mit Hunden war zu dem, was er heute Abend machen musste einfach. Er musste die Aufnahmeprüfung einfach schaffen. So lange hatte er auf den Tag gewartet. Die Kräuter konnte er nicht früher bestellen, sammeln war bei dem, was er brauchte auch keine Option. Er hatte schon damit gerechnet, dass es knapp werden würde, aber nun war alles, was er brauchte in Reichweite.

»Hier dein Futter, ich hoffe, du magst es, ich hatte leider nichts anderes im Haus!« Er hielt Abstand und stellte die beiden Näpfe in einiger Entfernung hin und trat dann wieder ins Haus, um dem Tier seine Ruhe zu lassen.
Es dauerte, aber dann vernahm er ein Bellen aus dem Garten und trat wieder hinaus. Die Näpfe waren leer, der Hund lag auf dem Kissen und neben den Näpfen lag das Paket.
»Brauchst du noch etwas?«
Der Hund schüttelte den Kopf.
Slamius nahm das Paket und öffnete es, alles war Heile geblieben. Wären die Kräuter feucht geworden, wäre es an dieser Stelle gelaufen gewesen.

Die Nacht brach herein und der Hund lag in der Hütte und schlief. Slamius hatte in seinem Wohnzimmer Kerzen aufgestellt und die Fenster zugezogen. Schwer duftender Rauch brannte in seinen Lungen. Einige der Kräuter stanken zum Himmel. Aber das gehörte zu seinem neuen Handwerk dazu. Hoffentlich gelang es. Wenn man in dieser Welt auf Magie stößt, kann man sie erlernen, dafür musste man aber Aufgaben lösen, die von der magischen Gesellschaft vorgegeben wurden. Vielmehr musste man erst einmal herausfinden, was für Aufgaben es waren. Von Berufszweig zu Berufszweig waren sie unterschiedlich. Er wollte Beschwörer werden. In langen Recherchen in der Bibliothek fand er in verschiedenen Büchern versteckte Hinweise, dass die Aufnahmeprüfung drain bestand etwas erfolgreich aus einer anderen Welt zu beschwören und an sich zu binden.

Nun war es so weit. Er hatte die Vorbereitungen abgeschlossen und setzte sich in seinen Kreis. In einem Weiteren ihm gegenüber würde, wenn alles glattginge ein Wesen aus einer anderen Welt erscheinen.
Er schloss die Augen, begann mit den Fingern die Symbole aus den Büchern in der Luft zu zeichnen und wartete auf den Moment des Übergangs ins neue Jahr.
Dann erklang der erste Gong, Feuerwerk, Winseln aus dem Garten. Ein erstes Licht flackerte auf und schien einzufrieren. Die Zeit stand still.
»Ich beschwöre ein Wesen aus einer anderen Welt!« Anrufung.
»Ich bitte dich, wenn du mich begleiten möchtest, komme herüber!« Wunsch.
»Ich werde mich um dich kümmern, so wie du mir beiseitestehen wirst!« Bindung.
Er wollte kein Wesen zwingen sich seinen Wünschen zu unterwerfen, deshalb hatte er die klassischen Beschwörungen offener formuliert, in der Hoffnung keinen Zwang zu erzeugen.
Nebel trat aus dem zweiten Kreis und verteilte sich säulenartig in dem kleinen Bereich.
»Ich habe deinen Ruf erhört und bin ihm gefolgt. Wenn du meinst, was du wünscht, so stimme ich der Bindung zu!«, sprach eine blubbernde Stimme aus dem Nebel heraus.
»Ich meine denn Wunsch ehrlich, ich werde dich nicht meinem Willen unterwerfen, ich möchte, dass du mich als freies Wesen begleitest.«
»Dann sei es so.«
Der Nebel lichtete sich und Slarius traute seinen Augen nicht. Im Beschwörungskreis saß ein kleines Gallert artiges Wesen. Kleine schwarze Augen, ein transluzenter Körper in hellem grün und über ihm schwebende Tropfen in selber Form und Farbe, die hin und her waberten. Im Grunde ein schleimiges Sitzkissen. Er hatte einen Schleim aus einer anderen Welt beschworen.
»Ich bin kein Sitzkissen und jetzt löse den Kreis, ich hab hunger.«, motzte sein Gegenüber.