Beschwingter Protest

StefShepardRox

CN: Begriffserwähnung: körperliche und sexuelle Gewalt, Femizid

„Auf einem Baum drei Raben stolz, oh weh oh weh, oh Leid oh weh…“
„Hör auf zu singen Ilse. Das ist ein offizielles Meeting.“
„Ich wollte uns doch nur in Stimmung bringen Herta.“
„Ruhe jetzt. Wir müssen noch die Agenda fertig machen. KARAH!“ Frieda sah ihre beiden Mitverschwörerinnen streng an. „Habt ihr dem Schwarm Bescheid gegeben?“
„Ja. Chill mal Frieda. Sie werden da sein, nachdem sie hinterm Bäcker fertig gegessen haben. Wir haben zwei Stunden.“ Herta hob ihr rechtes Bein und schob sich die gestohlene Pistazienmakrone in den Schnabel.

Die drei Raben hatten auf dem Dach der alten Reifenfabrik Stellung bezogen. Die Fläche dürfte ausreichen, den ganzen Schwarm zu beherbergen. Es war ein wichtiger Tag für die Bewegung. Da galt es, vorbereitet zu sein.

„Ich bin ja dafür, dass wir zuerst ein paar Fälle vortragen, um die Menge einzustimmen.“
„Gute Idee Ilse. Und dann planen wir die Protestaktionen.“ Herta plusterte ihr Gefieder und pickte ein paar Krumen aus dem schwarzen Federkleid.
„Ich habe diesbezüglich auch schon einige konkrete Ideen Mädels. Wir müssen diese armen Kreaturen befreien.“
„KARAH! KARAH! KARAH!“, kam es zustimmend aus den Schnäbeln der beiden Kumpaninnen.
„Wir müssen aber basisdemokratisch entscheiden.“
Auch hier gab es zustimmendes Gekrächze.

„Gut. Ich fliege mal eben die Demo anmelden und ihr beiden kundschaftet die Demoroute aus.“

Die drei stoben krächzend auseinander. Frieda glitt geschmeidig wie ein Falke durch die Lüfte, rüber zur Polizeistation. Sie landete auf einem Fenstersims und hüpfte durch das geöffnete Fenster. Ein gelangweilter Polizist saß am Schalter, zwei weitere klopften auf der Tastatur herum und starrten auf ihre Bildschirme. Stimmen kamen aus dem Pausenraum. Frieda flatterte leise zur großen Landkarte die an der Wand hing. Nun musste sie gut zielen. Sie stieg bis unter die Decke auf, drehte drei Runden um Peilung auf zu nehmen, ging in den Sturzflug und zog direkt vor der Wand steil hoch.
Matz.
Orientierungslos flatterte sie einige male auf und ab und betrachtete ihr Werk. Ziemlich zielgenau den Ort der Kundgebung erwischt und einen Großteil der Demoroute. Sie war zufrieden. Frieda hüpfte auf ein Regal, auf dem Unzählige Formulare auflagen, zupfte sich das für die Demo-Anmeldungen heraus, zerrte es vor die Landkarte und pickte bei Demo Organisator das Ankreuzfeld: Herr, komplett heraus. Zufrieden flatterte sie hoch, drehte eine Runde über den Köpfen der PC Polizisten, die erschrocken auffuhren und segelte aus dem Fenster, ehe sie noch jemand verscheuchen konnte. Anmeldung erfolgt. Morgen würde die große Demo steigen.

Herta und Ilse waren unterdessen unterwegs, um die Aktionsorte aufzusuchen. Mit vereinten Kräften, klauten sie mit ihren kräftigen Schnäbeln einen Farbtopf von einer Baustelle und schleppten ihn ganze zwanzig Meter weiter, an die Stelle der Kundgebung.

Wenig später fanden sie sich wieder auf dem Dach der alten Fabrikhalle ein. Nach und nach kamen auch die anderen Raben hinzu. Grünschnabel und Blaufeder tuschelten ganz aufgeregt miteinander. Sie waren die Jüngsten und durften zum ersten Mal an einer solchen Versammlung teilnehmen. Mit dem Glockenschlag der nahen Kirche kamen die letzten Teilnehmenden angeflattert und landeten auf dem vollbesetzten Dach.
“KARAH! KARAH! Ruhe bitte. Lasst uns zur Tagesordnung übergehen. Wir haben uns heute hier eingefunden,… Hugo! Spuck das Aus, das ist ein Stein, keine Nuss!… Ehm, wo war ich? Ahja, um den Menschinnen beizustehen. Tagtäglich werden wir Zeugen davon, wie ihre Männer mit ihnen umspringen. Wir waren selbst vor tausenden von Jahren an diesem Punkt und unsere Gemeinschaft ist um vieles besser geworden, seit wir den Schatten des Patriarchats abgelegt haben, der uns so lange verfolgt hatte. Lasst uns den Menschenfrauen dasselbe Geschenk machen. Schwester Ilse und Schwester Herta werden euch ein paar Beispiele nennen, warum es so wichtig ist, die Menschinnen zu befreien.” Friedas Stimme trug weit und die Menge lauschte ihr gespannt.
Zustimmendes Gemurmel machte sich breit. Ilse flatterte auf den Rauchfang und nahm Friedas Platz ein. “KARAH! KARAH! Erst gestern habe ich im Radio eines Parkbesuchers gehört, dass in einem fernen Land, dass Iran heißt, eine Frau getötet wurde, die ihr Kopftuch nicht perfekt angelegt hatte. Seither demonstrieren dort ihre Brüder und Schwestern gegen dieses patriarchale Regime und werden brutal bestraft, dafür, dass sie frei sein wollen. KARAH!” Sie flatterte davon und machte Platz für Herta. Diese räusperte sich und schloss an.

“KARAH! Aber nicht nur in fernen Ländern drehen die Männer am Rad. Auch hier, inmitten unserer Heimat, im Zentrum des sogenannten Abendlandes, werden Frauen unterdrückt. Ich habe belauscht, wie zwei Frauen, die mich hingebungsvoll fütterten, darüber sprachen, wie furchtbar ungerecht es sei, dass die Männer immer noch viel mehr verdienen würden, als Frauen und man sie noch dafür bestrafe, dass sie die ganze Last des Kinderkriegens zu tragen hätten. KARAH!” Sie flatterte vom Rauchfang und überließ Frieda wieder den Sprecherplatz.
“Und das Schlimmste ist, KARAH! Dass niemand davon berichtet, wie viele Femizide es gibt. Ich habe neulich hinter einem Würstelstandl eine Semmel gepickt, neben einer Kundgebung am Karlsplatz. Dort hatten sich Menschinnen versammelt, die auf einen eben passierten Femizid aufmerksam machten und die Zahlen haben mich schockiert. Stellt euch vor, jeden Monat werden zwei bis drei Frauen ermordet. Oft von ihren Partnern oder Exfreunden. Jede fünfte Frau ist ab ihrem 15 Lebensjahr körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Diese Zahlen stammen aus unserem, schönen österreich.”
Einige erschrockene und entrüstete Krächzer waren zu hören, doch diese wurden alsbald von betretenem Schweigen abgelöst. Frieda ließ die Zahlen einen Moment wirken.
Die Rabenmenge wurde wieder unruhiger und so fuhr sie fort. “Gibt es noch andere Beispiele?”
Stimmen wurden laut: “Kirche, KARAH!”; “Die meiste Arbeit mit dem Nachwuchs!” “KARAH! Schwere Einkäufe heimschleppen mit Kind auf dem Arm!”, “Riesen Sportveranstaltungen mit einem Ball und fast nur Männliche Teams!” “Jungs dürfen blau, Mädchen nur rosa tragen!” “Studie gelesen, Alles vom Autosicherheitsgurt bis hin zu Medikamentendosierung auf Männer angepasst, KARAH!”
Frieda nickte wissend und hob die Schwingen um die Menge wieder zur Ruhe zu gemahnen.
“All das und noch viel mehr! Seit Jahrhunderten matzen wir regelmäßig auf Kirchenfenster, die Sportwagen der schlimmsten Schowinisten oder lassen ihnen Walnüsse auf den Kopf fallen. Gebracht, hat das wenig. Sie stellen die Verbindung einfach nicht her. Wir müssen das fortan strategisch angehen.” Zustimmendes Gekrächze war die Antwort. “Für Morgen habe ich eine Demo angemeldet. Ganz offiziell. Bei den Menschenwächtern. Auch fast nur Männer. Aber meine Botschaft war deutlich. Die Schwestern Ilse und Herta haben die Route erschlossen, die unsere Demo morgen nehmen wird.”
Herta flatterte neben Frieda und räusperte sich. “Wir werden uns auf dem Dach des Stephansdoms treffen, Wenn die laute Glocke da zur Mittagsstunde schlägt. Dann, wenn die meisten Leute hoch sehen zum Turm, werden wir auf die Statuen der Kirche matzen. Dekorieren wir die Kirchenglatzen! Und wer keine Statue findet, sucht sich einen Mann auf dem Boden. Matzen gegen Glatzen!”
Die Menge johlte.
“Wir haben auch einen Farbeimer besorgt, den wir über den Pantomimen kippen wollen, der ständig anzügliche Gesten macht, wenn eine hübsche Dame vorbeikommt. Anschließend ziehen wir über den Graben, klauen uns Damenhüte bei den feinen Läden und werden sie vor der Hofburg allen Männerstatuen aufsetzen! Auch im Volksgarten und auf die gelehrten Schädel der Figuren auf Kunst- und Naturhistorischem Museum! Schließlich waren es Frauen, die von jeher Familie, Dichter und Denker, Kriegsherren und Bauern, wohl behütet haben!”

Aus der schwarzen Menge erschallte ein: “Und zum Dank haben sie sie unterjocht, als Hexen verbrannt und machen heute noch Witze über sie, als wäre es das normalste auf der Welt. Ich sag nur: Einparken!”
“Genau! Wann immer ich den bescheuerten Witz höre, folge ich dem Kerl und matz ihm auf die Windschutzscheibe!”, meldete ein anderer Kräherich.
Frieda nickte wissend und hob die Flügel erneut, um die Menge zur Ruhe zu gemahnen. “So ist es, Krähmerad:innen. So ist es!” Sie krächzte einmal, um ihre Stimme zu lockern. “Im Anschluss machen wir uns über die Marktstände vorm Rathaus her, um aufzutanken. Wir brauchen Munition für die Abschlusskundgebung am Parlament. Zum Verdauen machen wir einen Zwischenstopp und verdunkeln alle Fenster am Rathaus und dann geht es geschlossen rüber zum Parlament. Das grosse Dachfenster im Lichthof wird von uns zugematzt. Seid gnadenlos! Wir versammeln uns danach vor allen Ausgängen und auch der Tiefgaragenausfahrt und lassen die Politiker erst wieder raus, wenn sie endlich bessere Gesetzte für Frauen beschlossen haben.”

“Und Tierschutz!”, krächzte Hugo dazwischen, der mitlerweile tatsächlich von dem Stein abgelassen hatte.
“Ja.”
“Und Klimaschutz!”
“Eines nach dem Anderen Leute, sonst können die Menschen wieder keinen Zusammenhang herstellen. Also ihr Lieben, stopft euch ordentlich voll, wir sehen uns Morgen Mittag auf dem Stephansdom, Krähfragetten Krieger:innen!”
KARAH! KARAH! KARAH!

Tageszeitung vom Tag nach der Protestaktion:

Alfred Hitchcocks “Die Vögel” live in Wien! Tausende Krähen, Raben und sympathisierende Amseln legten Gestern die City lahm. Schon am Vortag gab es einen Krähenvorfall auf einer Polizeiwache im zehnten Bezirk, als hätten die schlauen Vögel ihre Aktion angemeldet, wurde das Wort “Herr” aus dem Demoantrag gepickt und die ungefähre Aktionsstätte auf der Wandkarte markiert. Zufall?

Es begann zum Mittagsgeläut der Pummerin. Das Dach des Stephansdoms hatte sich im Vorfeld mit schwarzen Federn verdunkelt, siehe Abbildung eins. Beim Glockenschlag stoben die Vögel auf und erleichterten sich auf den Köpfen der Statuen und schaulustiger Männer, vereinzelter trans Männer und Nicht binären Personen. Keine Frau wurde getroffen.
Im Anschluss flogen die kecken Gefährten über den Graben und plünderten alle Damenhüte aus und von Ständern vor den Läden. Zu zweit trugen sie diese zum Heldenplatz um dort alle Statuen mit den Hüten zu bedecken, die übrigen Hüte wurden auf den Köpfen der großen Wissenschaftler und Künstlerstatuen an Kunst- und Naturhistorischem Museum platziert. Videos von Überwachungskameras stehen online zur Verfügung. Einzig verschont blieb das Haupt unserer Großen Kaiserin Maria Theresia, ein Vogel platzierte stattdessen eine geklaute Rose in ihren Händen.
Die Vogelschar zog weiter zum Rathausplatz um in fast schon apokalyptischem Ausmaß über die Fressbuden herzufallen und im Anschluss die Fenster und das Dach des Rathauses zu besetzen.
Der letzte Punkt ihrer offenkundigen Protestaktion bildete das Parlament, wo sie ihren Verdauungstrakt in die Batterie eines Jetbombers verwandelten und die Glaskuppel über dem Sitzungssaal mit ihren Exkrementen verdunkelten. Zuletzt ließen sie sich vor den Ausgängen nieder. Das schwarze Meer der Vögel ist noch zu Redaktionsschluss vor Ort und weicht auch nicht vor Lärm oder Menschen, die sie verscheuchen wollen. Wird ein Vogel vertrieben, rücken zwei nach. Das Parlament tagt zu gleichfalls immer noch.

…las Frieda ihren Mitverschwörerinnen Herta und Ilse aus der Zeitung vor, während sie an einem Bäckerladen nahe des Parlaments ihren Kalorienbedarf deckten.
“Wir haben versehentlich ein paar trans Männer und nicht Binäre Personen erwischt. Das tut mir jetzt richtig leid,” krächzte Herta.
“Ja, mir auch. Am besten wir gehen das nächste mal für trans Rechte auf die Strasse!”
„KARAH! KARAH! KARAH!“