Der Seelentausch

von _linda_bier_

Graue Ascheflocken rieselten zu Boden. Zwischen seinen Fingerspitzen verglühte ihr Foto. „Das wirst du bereuen“, dachte Toni, zog sich die Kapuze über den Kopf und vergrub seine Hände tief in den Taschen seiner Jeans. Mit der Fußspitze drückte er die letzte Glut aus. Mit hängenden Schultern schlurfte er durch die Gassen zurück nach Hause. Es war früh am Morgen, die Autos schoben sich Stoßstange an Stoßstange durch die Straßen. Gefangen in ihrem Hamsterrad, jagten sie von einem Termin zum nächsten und er war froh der Sklaverei entkommen zu sein. Endlich konnte er tun und lassen, was er wollte. Kein Chef, der ihn anschnauzte, keine Kollegen, die ihn auslachten und keine Larissa, die Toni verurteilte. Er brauchte sie nicht, um glücklich zu sein. Er schlurfte über die Hauptstraße und trat mit seinem Fuß gegen eine weggeworfene Blechdose. Die flog gradewegs auf die Frontscheibe eines wartenden SUV. Der Fahrer funkelte ihn wütend an, bevor er ausstieg, rannte Toni los. Eine Prügelei auf offener Straße konnte er nicht gebrauchen. In einer Gasse blieb er stehen und lehnte sich schnaufend gegen eine der Mülltonnen. Niemand war ihm gefolgt.
„Guten Morgen mein Herr.“ Erschrocken wirbelte er herum. Hinter ihm stand ein runzliger Mann mit einem Bauchladen vor der Brust. Wo kam der so plötzlich her?
„Kann ich Ihnen etwas anbieten? Ich habe interessante Stücke dabei“, fragte der Alte und lächelte breit.
„Nein danke“ murmelte Toni, ohne einen Blick auf die Auslage zu werfen. So eine Nervensäge fehlte ihm noch. Er trat auf die Straße und sah sich um. Die Luft war rein.
„Einige meiner Produkte können Ihnen ihre Wünsche erfüllen. Sie sehen aus, als könnten Sie Hilfe gebrauchen.“ „Was zur Hölle?“, fluchte Toni und ging zurück in die Gasse. Er war zu schlecht drauf, um sich schlaue Ratschläge anzuhören. Toni atmete tief durch. Tat als betrachtete er die Kristalle, Traumfänger, Duftkerzen und Tarot Karten und schüttelte den Kopf. „Kein Interesse und kein Geld.“
„Wie wäre es, wenn sie ihr Leben gegen das eines anderen eintauschen könnten?“ „Was?“ Toni starrte den Mann an. Aus den langen Ärmeln seiner Jacke zog er eine Spielkarte. Sie war schwarz und in der Mitte prangte ein goldener Totenkopf. Sie strahlte und etwas brachte ihn dazu, sie sich näher anzusehen.
„Autsch“, rief er. Toni hatte sich an einer scharfen Kante geschnitten. Ein Tropfen seines Blutes fiel auf den Boden. Ein Kribbeln zog durch seine Hand und verursachte eine Gänsehaut. „Was soll ich mit einer Spielkarte? Spar dir den Hokuspokus für ein Anderen, Alter!“
„Sie stammt aus dem Kartendeck des Teufels. Sie verfügt über magische Kräfte und erfüllt Ihnen Ihren Wunsch nach einem neuen Leben. Legen Sie sie über Nacht unter ihr Kopfkissen und am Morgen sind Sie jemand anderes.“
Ungläubig sah Toni von der Karte zu dem Händler und zurück. „Blödsinn“, murmelte er.
„Was haben Sie zu verlieren?“ Damit hatte der Alte Recht. In dieser Stadt hielt ihn nichts, weder eine Frau noch ein Job.
„Ich kann mir den Hokuspokus nicht leisten.“
„Es handelt sich um einen Tausch. Ein Wechselspiel – die Karte kostet keinen Cent. Allerdings, einmal ausgeführt, lässt sich der Tausch nicht mehr rückgängig machen.“
„Das ist ein schlechter Deal für den anderen.“ Toni musste lachen. Er steckte die Karte in die Tasche seines Pullovers. Was hatte er zu verlieren? Als er wieder aufsah, stand er allein in der Gasse. Der Alte war verschwunden.

Das schrille Klingeln eines Telefons riss Toni aus dem Schlaf. Ohne die Augen zu öffnen, suchte er nach dem Hörer und hob ab: „Guten Morgen Herr Monroe. Dies ist Ihr Weckruf, es ist 8 Uhr. In wenigen Minuten bringt Ihnen der Zimmerservice das Frühstück. Wir wünschen Ihnen einen wunderbaren Tag.“ Verwirrt legte er den Hörer wieder auf und rieb sich die Augen. Erschrocken fuhr er im Bett hoch. Er starrte in den Spiegel, der gegenüber dem Bett hing. Darin saß ein sonnengebräunter, durchtrainierter Modelltyp mit kurzem, lockigen Haar und weißen Zähnen. Er starrte zurück. Angestrengt versuchte er sich an den gestrigen Tag zu erinnern und dachte an den Alten aus der Gasse. Das war unmöglich! Er stieg aus dem Bett und sah an sich hinab. Das war nicht sein Körper. Konnte es … ? Er zwickte sich in den Oberarm und jammerte. Da klopfte es an der Tür: „Zimmerservice! Ich bringe Ihnen Ihr Frühstück Herr Monroe!“ Das war nicht seine Wohnung. Und Monroe nicht sein Name. Toni sprang zur Tür, riss sie auf und starrte in die aufgerissenen Augen einer Frau. Sie errötete, reichte ihm das Tablett, machte einen umständlichen Knicks und verschwand. So höflich wurde er noch nie behandelt. Er stellte das Frühstück ab, trat durch das geräumige Appartement und sah aus dem Fenster. Das Hotel lag direkt an einem Sandstrand, türkisblaues Meer erstreckte sich bis zum Horizont. Er hatte keine Ahnung, wer er war oder wo, doch an den Ausblick konnte er sich gewöhnen. Da vibrierte ein Handy auf dem Nachttisch. Er hob es auf und nahm das Gespräch an: „Gut, du bist wach. Wir haben heute einen vollen Terminkalender. Ich hoffe, du bist fertig, denn in 15 Minuten beginnt das Shooting für Gucci am Strand. Zum Mittagessen triffst du dich mit einem jungen Designer aus London, er will dein Gesicht für seine neue Kollektion zur Fashion Show in New York. Du musst nur noch ja sagen. Heute Nachmittag steht der Jet bereit, für den Flug zurück nach Miami. Oh, und Stev? Ich hoffe, du hast diese schreckliche Blondine endlich abserviert!“
„Wer ist Stev?“, fragte Toni und kramte eine Jeans und ein T-Shirt aus dem Kleiderschrank. „Ha ha, sehr witzig. Beeil dich, du hast 10 Minuten.“ Die Frau legte auf. Patrizia hieß sie, das zumindest stand auf seinem Display. Er öffnete die Instagram App und starte auf das ernste Gesicht von „Steven_Monroe_Offical“. Daneben las er die Zahl 3,5 T Abonnenten. „Fuck“, dachte er. Was hatte diese Patrizia gesagt? Er musste zu einem Fotoshooting? Er spritze sich kaltes Wasser in das fremde Gesicht und spülte die Zähne mit einem Mundwasser – für mehr blieb keine Zeit. In der Lobby wartete sie bereits und stellte sich als seine persönliche Assistentin heraus. Im Taxi, fuhren sie an einer LED Werbetafel vorbei, auf der sein Gesicht im Großformat prangte. Toni starrte sein neues Ich an und schickte ein stummes Stoßgebet an den merkwürdigen Alten aus der Gasse.

Sechs Monate später

Toni rollte mit den Augen. So hatte er sich seinen einzigen freien Tag – seit Monaten- nicht vorgestellt. Er saß in einer Boutique und wartet darauf, dass die Blondine, die sich selbst als seine Freundin engagiert hatte, fertig wurde. Sie würden beide davon profitieren, hatte sie gesagt. Er war zurück in seiner alten Heimatstadt, ein Zufall, denn das nächste Fotoshooting fand in einem der Luxushotels statt. Sechs Monate lebte er das Leben dieses Steven Monroe, in dem Frauen und Geld keine Rolle spielten. Von beidem hatte er genug und die Nase voll. Seine Tage waren strickt durchgeplant. Freunde hatte er keine, denn dafür fehlte Steven die Zeit. Seine neue Familie, sah er nur über Face Time. Auf der Straße verfolgten ihn die Paparazzi und jedes Detail seines Privatlebens landete auf Instagram. Niemals war er unbeobachtet. Außer Patrizia war niemandem aufgefallen, dass er sich anders verhielt oder sich an Dinge, von vor den 6 Monaten nicht erinnerte. Er hatte versucht, ihr zu erzählen, was passiert war, doch sie tat es, wie eine neue Marotte ab und spielte mit. Schließlich zahlte er ihr das Gehalt. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass sie ihn mehr mochte, als den Alten.
Toni sah aus dem Schaufenster auf die andere Straßenseite. Im Café gegenüber glaubte er, ein vertrautes Gesicht zu sehen. Eines aus seinem früheren Leben. Er setzte sich die Sonnenbrille auf, gab seiner Show-Freundin ein kurzes Zeichen und verließ den Laden. Er ging über die Straße und schlenderte zum Café. Er schnappte sich einen freien Stuhl und bestellte ein Wasser. Die Kellnerin erkannte ihn nicht – zum Glück. Unauffällig betrachtete er die Frau am Nachbartisch. Er täuschte sich nicht. Larissa sah gut aus und irgendetwas war anders. Sie strahlte. Dann tauchte ihr Begleiter auf und Toni sah sich selbst. Seinen Körper. Er hatte sich verändert, war schlanker, gesünder und hatte Farbe im Gesicht. Seine Kleidung war teurer. Zu Begrüßung küssten sie sich und als Larissa aufstand erkannte er den Grund für ihr Strahlen. Sie war schwanger! Von ihm?
Tonis Herz verkrampfte sich schmerzhaft. Steven hatte sein altes Leben nicht nur übernommen, er hatte es besser gemacht. Der neue Toni war kein Loser mehr, er hatte eine eigene Familie. Er sprang fluchtartig auf und stieß mit der Kellnerin zusammen. Das bestellte Wasser, zersprang auf dem Boden. Der Tumult lenkte die Blicke auf ihn und der neue Toni war zur Stelle, um der Bedienung zu helfen. Früher wäre er nicht mal auf den Gedanken gekommen, das zu tun. Der echte Steven erkannte sein Altes ich. Er hob grüßend die Hand und seine Lippen formten ein stummes „Dankeschön“. Toni zwang sich zu einem Lächeln, presste ein „Herzlichen Glückwunsch“ in Richtung seiner Ex-Freundin und gab der Kellnerin ein zu hohes Trinkgeld. Dann rannte er über die Straße zurück in die Boutique und in sein schillerndes, neues Leben.

Beitragsbild: Foto von Lebele Mass (Instagram) von Pexels