Des einen Leid, des anderen Freud
von Gipfelbasilisk
Thomas stand schon mehrere Stunden im Garten und häckselte endlich den Grünschnitt. Er hatte diese Aufgabe schon einige Wochen vor sich hergeschoben. Er wollte die Hackschnitzel des Grünschnitts in seinem kleinen Acker unterpflügen. Als er mit der Hacke zuschlug, traf sie auf etwas Hartes. Er kratzte die Erde zu Seite und fand einen Stein.
Wie kam der nun hier her? Er hatte erst im letzten Jahr den kompletten Acker umgepflügt und die ganzen Steine aus dem Acker geholt. Dachte er zumindest. Er holte die dicken Arbeitshandschuhe aus seinem Schuppen und fasste unter den Stein.
Schweiß trat auf seine Stirn. Immer aus den Beinen heben, erinnerte er sich und zog. Nichts rührte sich. Mann, war der Stein schwer. Er holte sich einen großen Ast und klemmte ihn unter den Stein. Dann eben mit Hebel. Er drückte und drückte und dann…? Brach der Ast.
Er fluchte. Um das Problem würde er sich später kümmern. Er schnappte sich seine Schubkarre mit den Grünschnittschnitzeln, schob sie ein paar Meter weiter, kippte sie aus und pflügte sie hier unter. Er arbeitete, bis ihm der Schweiß von der Stirn herunter rann, wischte sich über diese und setzte sich auf seine bequeme Gartenliege. Der Stein ragte wie ein Monument aus dem Acker empor. Jemanden anderen wäre er vermutlich nicht einmal aufgefallen, aber für Thomas prangerte ein riesiges, rotes Kreuz über diesem Stein. Er legte sich ärgerlich in seiner Liege zurück. Die Holzhackschnitzel, die sie im Frühjahr auf den Wegen verteilt hatten, dufteten wunderbar nach frisch geschlagenem Holz. Der Wind wehte durch die jüngst belaubten Bäume. Thomas schaute ins frische Grün und beobachtete wie das Licht durch die Blätter fiel. Verschiedenste Abstufungen von hell bis dunkelgrün vor einem strahlend blauen Himmel. Er atmete tief durch. Sein Ärger verflog, er schloss die Augen und schlief ein.
Eine dicke Gewitterwolke hatte sich vor die Sonne geschoben. Dass das Wetter gewechselt hatte, bekam Thomas aber erst mit, als ihn die ersten dicken Regentropfen trafen und ein Donner das Land erschütterte. Fluchend erwachte er, brachte schnell die Werkzeuge in den Schuppen und ging ins Haus. Das imaginäre rote Kreuz im Garten, das Monument, der Stein… All das hatte er schon zur Gänze vergessen.
• • •
Die Regentropfen wurden immer dicker und schlugen auf die trockene Erde im Acker. Es hatte heute an seinem Dach, das ihn schützte, ganz schön geruckelt, aber es hatte gehalten. Er atmete tief durch und spürte die Feuchtigkeit, die in sein Versteck drang. Es war Zeit, hinaus zu kriechen. Das würde ein Festmahl werden. Die braunen, schleimigen Dinger waren immer in Massen draußen, wenn es regnete. Er bräuchte sie nur von dem frischen Grün, das überall aus dem Boden spross, herunter sammeln. Auch vor diesen fliegenden Dingern brauchte er sich bei diesem Wetter nur wenige Sorgen machen. Die Großen, die ihm gefährlich werden konnten, hielten sich bei einem solchen Wetter meist im Wald auf, sodass er etwas sicherer war. Er wühlte sich unter seinem Stein hervor und siehe da: Direkt vor seinem Bau kroch ein dicker, brauner, schleimiger Leckerbissen vorüber. Seine Schwanzspitze lag sogar noch in seinem Bau, als er zuschnappte und sich den fetten Leckerbissen schmecken lies. Er traute sich etwas weiter aus seinen Bau hinaus und legte sich auf den Stein über seinem Bau. Er sah sich um. Er hatte nun schon etwas gegessen und der nächste Leckerbissen würde bald vorbei kriechen. Einer der großen Zweibeiner rannte wilde Laute ausstoßend in seinen Bau. Hatte er das Ruckeln am Dach seines Baus heute Morgen verursacht? Sowas machen die Zweibeiner ständig, dachte er noch, als er schon zuschnappte, um sich den nächsten Leckerbissen schmecken zu lassen. Ja, ja, die Großen mochten keinen Regen, aber wie sagt man so schön: des einen Freud, des anderen Leid.
• • •
Thomas trat an sein Fenster und schaute hinaus in seinen Garten. Sein Blick schweifte über den Acker, der nun von dicken Regentropfen gewässert wurde. Da fiel ihm der Stein wieder ein. Sollte das Wetter morgen besser sein, würde er sich um ihn kümmern. Aber da blieb sein Blick an etwas kleinen, Schwarz-gelben hängen, das auf dem Stein saß und eine Nacktschnecke verspeiste. Ein Feuersalamander. Thomas freute sich. Er hatte seit Ewigkeiten keinen mehr gesehen. „Guten Appetit!“, sagte er zu dem kleinen Tier, das ihn aber nicht hörte.
„Mit wem redest du?“, erklang die Stimme seines Mannes hinter ihm.
„Nur mit dem kleinen Salamander, der sich im Garten gerade gütlich an den Nacktschnecken tut. Ich glaube, ich lass den Stein doch im Acker“, verkündete Thomas und fügte hinzu: „Vielleicht sollten wir dieses Jahr mehr Salat anbauen, da stehen die Nacktschnecken doch wahnsinnig drauf. Vielleicht lockt das noch mehr Salamander an!“
„Dann musst du aber wieder einige Steine auf deinen Acker legen, damit die Salamander auch Orte haben, um sich zu verstecken“, antwortete Thomas’ Mann, umarmte ihn und schaute in den Garten.
Gemeinsam beobachteten sie noch einen Moment den kleinen Salamander, der inzwischen seine fünfte Nacktschnecke verspeiste.
Rückblickend war der Tag doch nicht so blöd, wie Thomas beim Reingehen dachte.