Die Melodie des Eises

Text von: Wandelndetote
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Als alle Schlachten geschlagen waren, die Königreiche keine Könige mehr besaßen, die Jahre ins Land gingen und sich fast keiner mehr an die alten Götter des Nordens erinnerte oder glaubte, wurden nur sehr selten Kinder geboren. Es war als läge ein Fluch über dem Dorfe Vhilyarn.
Wie alle Leute wollte auch dieses Paar schon lange ein Kind haben, doch mussten sie sich in viel Geduld üben. Sie hatten sogar die Stammesälteste aufgesucht, diese gab der Frau einen Trank mit, den die weise Frau während sie geheimnisvolle Formeln vor sich hin murmelnd braute. Im Frühling, zwei Jahre später darauf war es endlich soweit, die Frau war schwanger geworden und nun stand die Geburt vor. Ganz Vhilyarn war in Aufruhr vor Freude. Beide waren überglücklich und dankten es der Ältesten sehr. Das Mädchen hatte schneeweißes Haar und Augen so blau wie der Fjord in den Bergen, doch ihr Körper war kalt wie Eis. Dies war ihnen etwas unheimlich, weswegen sie nochmal die alte Frau aufsuchten.
Diese sagte: ,,Ich hatte euch gewarnt, alles hat seinen Preis. Doch solltet ihr euch an eure Vereinbarung halten und das Kind wie befohlen nennen.”
So gaben sie dem Kind, den Namen Freya.
Freya war ein sehr glückliches Kind, sie lernte laufen, sprechen und wurde mit jedem Geburtstag schöner. Sie war gern gesehen im Dorf, doch kam der Tag näher an dem das Paar ihrem Kinde erzählen mussten, welche Bürde ihr mitgegeben wurde außer ihren immer kalten Körpers. Eines Tages kam Freya, sie war mittlerweile zwölf, freudestrahlend gelaufen und berichtete wieder sehr stolz, was sie heute gelernt hatte und wie lustig es war. Jedoch, nachdem sie voller Eifer ihre Erlebnisse mitgeteilt hatte, bemerkte sie, dass ihre Eltern sehr schweigsam und mit traurigen Blicken am Tische saßen. ,,Mutter, Vater warum schaut ihr so traurig?”, fragte Freya. ,,Ach liebe Tochter, du weißt ja, dass du in drei Tagen 13 wirst. Auch ist dir sicher schon aufgefallen, dass du das einzige Kind im ganzen Dorf bist”, entgegnete der Vater und seine Miene verzog sich zu einem schwachen aber mutlosen und besorgtem Lächeln. Das junge Mädchen verstand nicht: ,,Ja sicher habe ich kein einziges Kind hier gesehen …. aber was hat das mit mir zu tun?”. Sie sah ihre Mutter an, welcher langsam zwei Tränen über die Wangen liefen.
“Ich kann das nicht”, sagte sie und stand von Tisch auf: ,,Lass uns zur Stammesältesten gehen. Freya mein liebes Kind, dort sollst du alles erfahren und auf deine Zukunft vorbereitet werden.”
Freya war die ganze Zeit über am Grübeln: Stimmte etwas nicht mit ihr? Wollten ihre Eltern sie nicht mehr? War sie zu schlecht in der Schule? War sie zu unbesonnen? Hatte sie falsche Dinge gesagt? Oder war sie schuld daran, dass der ewige Winter nicht wegging?
Bei der Ältesten angekommen überkam sie ein immer schlechteres Gewissen, sie fühlte sich unwohl und ihr war flau im Magen. Freyja fiel auf, dass es ihr das erste Mal kalt war in ihrem Leben. Die Heilerin trat aus ihrer Behausung. Sie war eine kleine, ältere Frau, die gebückt an einem etwas größeren aber wunderschön geschnitzten Stock ging. “Seid willkommen, kommt nur herein, ich habe euch schon erwartet”, krächzte die alte Frau in einem sanften Ton. “Wollt ihr einen Tee haben?”, fragte sie überaus freundlich und führte die Familie in ihr kleines und bescheidenes Heim. Das winzige Häuschen sah von innen viel Größer aus als man annahm. Es ging durch einen gefühlt nie enden wollenden Flur mit sehr vielen Türen zu beiden Seiten. Freya beobachtete alles voller Faszination und gleichzeitig mit Schauder, welcher ihr kalt über den Rücken rollte. Sie bemerkte Bilder an den Wänden, manche schön anzusehen und andere wieder Porträts von Personen, die ihr fremd waren. Es kam ihr das Gefühl, dass diese ihnen mit den Augen folgten und sie beobachteten, doch als sie sich umdrehte, sah alles normal aus. Als sich Freya wieder umdrehte sah sie, dass eine Lücke zwischen ihr und ihren Eltern lag, welche ohne sich umzusehen, der kleinen alten Frau folgten. Sie wollte schnellen Schrittes aufholen, doch schien sich der Abstand zwischen ihnen nur noch zu vergrößern. Langsam bekam sie Panik, sie rief nach ihnen, sie rannte … nichts konnte sie wieder näher zu ihren Eltern bringen und hören konnten sie sie wohl auch nicht, denn es drehte sich keiner um. Oder ignorierten sie sie einfach? Mochten sie sie nicht mehr? Was hatte dieses alte Weib ihnen nur erzählt? Oder war sie die Einzige, die von nichts wusste?
Alle möglichen Fragen und Szenen ging Freya im Kopf durch, während sie den langen Flur weiter entlang ging. Allein schon die Tatsache, dass sie das einzige Kind im ganzen Dorf war, hätte ihr doch irgendwie einleuchten müssen.
Sie ärgerte sich sehr über ihre eigene Blindheit der ganzen Situation gegenüber und stampfte wütend beim Laufen mit den Fersen in den Boden, doch der Teppich unter ihren Füßen verschluckte die Stampfgeräusche so dass, eine Stecknadel lauter gewesen wäre beim Fallen. Bald darauf war ihre Wut verflogen, zurück blieb nur Einsamkeit und Traurigkeit in ihr, so schritt sie weinend weiter voran. Freya war sich sicher schon eine halbe Ewigkeit gelaufen zu sein, ihre Füße wurden langsam schwer wie Blei, doch war sie entschlossen weiter zu gehen, als sie sehr leise tapsende Schritte neben sich vernahm. Sie schaute links, rechts und drehte sich beim Laufen mehrmals um die eigene Achse, doch sehen konnte sie niemanden und wenn sie stehen blieb, hörte auch das Tapsen auf. „Ich weiß, dass du da bist, ich kann deine Schritte hören”, sagte sie ein wenig verunsichert und blieb stehen, denn das Grüppchen weiter vorne war inzwischen nicht mehr zu sehen. Das Tapsen hörte auf, dafür ertönte eine Stimme sanft, ruhig und gleichzeitig gewaltig wie der Donner bei einem Gewitter „Wie kommt es? Warum kann sie mich hören aber nicht sehen?” Freya hatte das Gefühl, in einer Höhle oder Ähnlichem zu stehen, denn die unbekannte Stimme kam von nirgendwo aber doch von überall her und hallte ein wenig nach.
Plötzlich raschelte etwas vor ihr, sie schaute vor sich auf den Boden und sah, dass alles um sie herum mit Blumen bewachsen war. Wie ging das? Sie hatte die Frage nicht mal zu Ende gedacht, da bekam sie schon eine Antwort von ihrem nicht sichtbaren Begleiter: „Du weißt, doch wo dein Name herkommt und sicher auch was er bedeutet oder?”, Freya schüttelte den Kopf und wollte gerade Antworten, doch war das Unsichtbare wieder schneller: „Wie ich sehe, weißt du nichts, hat man dir nicht die Mythen und Geschichten des Volkes erzählt?” Sie verneinte wieder mit einem Kopfschütteln. Die beiden unterhielten sich noch eine ganze Weile lang. Freyja war froh, denn endlich bekam sie Antworten auf all ihre Fragen, auch wenn die Unterhaltung einseitig war, da sie ihre Fragen nur denken musste und das Wesen schon mit der Antwort anfing. ,,Na komm, wir suchen uns einen gemütlichen Raum mit Stühlen, dann kann ich dir auch eine Geschichte erzählen”, meinte es und tapste voran, sie folgte ihm, indem sie auf das leise Tapsen horchte und dabei selbst so leise ging wie möglich.
Dreizehn Türen weiter blieben sie stehen und eine Tür auf der rechten Seite des Flures öffnete sich und Freyja kam ein leichter warmer Luftzug entgegen, sie vernahm Düfte, die sie noch nie in ihrem Leben gerochen hatte, denn es war ja immerzu Winter.
Sie machte die große Tür vorsichtig weiter auf und wurde geblendet, dahinter schien die Sonne. Nach einer Weile hatten sich ihre Augen an das flutende warme Licht gewöhnt und sie trat über die Türschwelle, woraufhin die Tür sich hinter ihr schloss und verschwand. Ein kurzer Anfall von Panik brach in ihr aus, doch da hörte sie wieder das Tapsen vor sich und das beruhigte sie, das was auch immer es war, war bei ihr.
„Warum kann ich dich laufen und sprechen hören aber nicht sehen?“, fragte sie. „Weil du noch nicht so weit bist“, erwiderte der Begleiter. Was war das für ein Raum oder war es überhaupt noch ein Raum? Scheinbar schien der Begleiter hier nicht ihre Gedanken lesen zu können, denn diesmal bekam sie gar keine Antwort auf ihre Frage. „Was ist das hier und was ist hinter den anderen Türen im Flur? Wer bist du und warum ich? Ist das noch ein Raum und wie kommt man hier wieder raus, denn die Tür ist weg? Was ist das alles?”, die Fragen quollen nur so aus ihr heraus. „Komm”, sagte der Begleiter nur und führte sie weiter über den bunten Boden bis hin zu einem sehr alten Baum mitten auf einem Hügel. Dort wo er, es, sie, was auch immer es war, lief und sich den Weg bahnte, bogen sich die Blumen am Boden nach links und rechts. Dieser Baum sah sehr dünn aus, doch war dort ein kleines Tor zu sehen, sie berührte es und plötzlich war sie im Inneren des Baumes. Es war ein kleines Zimmerchen mit einem Bettchen, Tischchen, zwei Stühlchen und auf dem Tischchen standen Tee und Kuchen. Von draußen schien die Sonne herein und ein warmer Lichtstrahl ließ sich auf ihren Beinen nieder, als sie sich auf einen der Stühle setzte.
Es tat gut zu sitzen, während Freyja nach draußen sah, bemerkte sie, dass alle negativen Gefühle verschwunden und von ihr abgefallen waren. Sie fühlte sich leicht so, als könnte sie einfach davonfliegen und als sie zu dem anderen Stuhl hinüber sah, war sie sehr verblüfft. Es war als Würde sich etwas auf dem Stuhl bewegen, als sie noch genauer hinsah, bemerkte sie, dass es pulsierte. Die Sonnenstrahlen brachen durch ihr Gegenüber hindurch und verursachten einen Schimmer. Ihr unsichtbarer Begleiter aus dem langen Flur sah aus wie eine Seifenblase nur in Form eines Tiermixes, als hätte sich einer ein schlechten Scherz oder ein krankes Experiment erlaubt. Es war lang wie eine kurze Schlange, hatte die Flügel eines Falken, die Beine und Füße waren die einer Katze und der Kopf dessen eines Axolotls. Das erklärte wohl auch das Tapsen.
„Was genau bist du denn nun?”, fragte Freya, während sie versuchte, einen neutralen Gesichtsausdruck zu behalten, obwohl es sie innerlich fast zerriss. Das Seifenblasentierchen sah schon ulkig aus, dachte sie bei sich. „Ich bin ein Nagual”, erwiderte es, sie beobachtete, dass es schneller anfing zu pulsieren und sprang vom Stuhl unter den Tisch. Kurz darauf kam eine Hand unter den Tisch mit der Frage: ,,Was machst du denn da unten? Komm wieder an den Tisch mein Kind.” Freya erschrak sich kurz und war verwundert, wo die menschliche Hand nun herkomme, nach kurzem zögern und überlegen griff sie danach. Sie wurde sanft nach oben geführt, als sie unter dem Tisch hervorkam, war das Nagual gar kein Mischwesen mehr, es hatte die Gestalt eines Menschen angenommen. ,,Tut mir leid, da habe ich dir wohl einen Schrecken eingejagt. Keine Sorge ich kann gar nicht platzen”, versprach es und nahm nun auch etwas Farbe an, damit Freya genauer sehen konnte. Kurze Zeit darauf erkannte sie sie selbst wieder. ,,Was genau bist du nun? Was ist ein Nagual? Warum mein Ich und überhaupt warum ich?”, fragte sie etwas verunsichert aber neugierig.
,,Okay gut, dann will ich dir mal von mir erzählen”, begann das Nagual, schlürfte kurz an seinem Tee und holte tief Luft: „Wie ich dir schon sagte, ich bin ein Nagual. Ein Nagual ist in seiner ursprünglichen Form ein Mischwesen, so wie du mich sahst. Es können unterschiedlichste Tiermischungen auftreten, zum Beispiel Biene, Maus, Hund und Biber. Je nachdem wie es die Situation verlangt, können wir auch unsere Gestalt wechseln. In dem Sinne sind wir seelische Begleiter oder auch Schutzengel genannt.” ,,Und wie heißt du?”, hakte Freya nach. ,,Unsere Namen bekommen wir, wenn wir auf unsere Meister treffen, da ich dein Schutzpatron bin, darfst du mir einen Namen geben”, erklärte es. ,,Ohje ich weiß nicht, wie man sich Namen ausdenkt”, meinte sie entschuldigend und ein wenig traurig. Das wundersame Geschöpf stand auf und kam um den Tisch herum, bevor es sie umarmte.
Sie war, von der Wärme die davon ausging verwundert aber genauso irritiert, denn sie dachte die ganze Zeit über, es wäre eine Seifenblase und daher mit Luft gefüllt. Doch es hatte eine feste Masse und war sehr weich, sie konnte nicht anders, vergrub ihr Gesicht in dem warmen Körper und schlief ein vor Erschöpfung.
,,Na wieder wach?”, fragte der Begleiter mit einem schmunzeln im Gesicht, als Freya ihre Augen wieder aufschlug. Sie schaute direkt in zwei Augen, deren Farbe man nicht erkennen konnte, schaute man nun in einen tiefen Wald oder hinaus auf eine wunderschöne grüne Lichtung? Sie befand sich immer noch in den Armen ihres Patrons: „Wie lange habe ich geschlafen?”, fragte sie, doch ihr Ebenbild schüttelte nur den Kopf: „Das ist egal und ist nicht wichtig”. Im selben Moment fing ihr Magen an zu knurren, scheinbar hatte sie so lang geschlafen, dass es nun an der Zeit war etwas zu essen. ,,Nagual, hast du etwas zu essen für mich?”, fragte sie verschlafen und setzte sich langsam auf. Sie hatte fast das Gefühl, sie hörte den Baum antworten, als es mit knarzender Stimme verhieß: „Hast du Hunger? So setze dich an das Tischchen mit einem Teller, welchen du vor dich platzierst, und stelle dir deine Speisen vor. Wie es aussieht und wie es schmeckt, doch wisse, es werden keine Sehenden bedient. Hast du Durst? So setze dich an das Tischchen mit einem Glas, welches du in die Mitte stellst. So wisse, es wird dir gut ergehen, wenn du die Regel befolgst, doch musst du jeden einzelnen Tropfen austrinken”.
Freya tat wie ihr geheißen und setzte sich nieder, sie musste erst einige Zeit überlegen, was sie genau wollte. Nach einigen Augenblicken hatte sie sich entschieden und stellte sich all die Leckereien vor, doch vergaß sie, den letzten Teil umzusetzen, wie das Nagual ihr geraten hatte. Sobald sie den letzten Gedanken und Geruch erfasst hatte, zappelte ein Lachs auf dem Tische, sprang ein Rentier durchs Zimmer und ein Odinshühnchen flatterte wie wild durch die Gegend. Alle Tiere eilten zur Tür hinaus und eine Gans watschelte eilig mit ihnen. Völlig erschrocken darüber was gerade passiert war, überlegte sich noch einmal, was genau ihr Begleiter alles gesagt hatte, da fiel es ihr wie Schuppen vor den Augen. Also versuchte sie es noch einmal, sie presste ihre Augen so fest zu, wie sie konnte und stellte sich alles noch einmal vor. Ganz langsam und vorsichtig öffnete sie ein Auge nach dem anderen, sie war erstaunt.

Dort vor ihr auf dem Tischchen lagen ein gebratener Lachs auf Zitronenscheiben garniert, ein knusprig gebratene Gans, mit einer Schale Rotkraut nebenan, zwei aromatisch riechende Rentierschenkel und ein Topf voll mit Suppe in welcher Odinshühnchenfleisch schwamm.
Neugierig wie eine Katze und gleichzeitig etwas verunsichert roch sie an den ganzen Köstlichkeiten, probierte hier und da kleine Happen und wartete kurz, ob irgendetwas passierte.
Das Nagual beobachtete sie dabei und kicherte leise: ,,Du kannst es ruhig essen, es ist ungefährlich, solange du dich an die Regeln hältst”, setzte sich zu ihr an den Tisch und Freya hielt ihm einen Rentierschenkel hin: ,,Komm und iss mit mir”, lud sie es freundlich ein. ,,Und was nun? Ich meine, ich muss bald gehen und zu der alten Frau und meinen Eltern aufholen”, meinte sie, nachdem sie einen großen Bissen vom Lachs heruntergeschluckt hatte. Es beruhigte sie und sagte: ,,Der Flur ist lang, wenn wir jetzt losgehen würden, wären wir viel zu früh da und wenn wir wollen sind wir immer noch rechtzeitig da”, ,,Aber wir sind doch schon Tage lang hier in diesem Raum mit allem, was hier ist”, wunderte sich Freya. ,,Ja sicher, allerdings verläuft die Zeit immer anders in den verschiedenen Räumen, wir sind in einem, in dem die Zeit uns so lange vorkommt aber auf dem Flur vergehen nur ein paar Sekunden”, erklärte es. ,,Und was genau zeigt die Uhr dann da an der Wand an? Ist sie kaputt oder warum bewegt sich der Sekundenzeiger so langsam?”, fragte sie, ,,Die Uhr zeigt die Uhrzeit mit Stunde, Minute und Sekunde aus dem Flur an, damit weiß man, wann man von hier gehen muss. Ein Tag hier hat sechs Sekunden, drei davon sind Tag und drei davon sind Nacht”, wurde ihr weiter erzählt.
,,In jedem Raum oder jeder Welt, die du betrittst, solltest du immer zuerst die Uhren suchen, bevor du dich in ihnen verläufst und darin verloren gehst”, sagte das Nagual: ,,Außerdem kann die Uhr dir immer zeigen wo der nächste Ausgang ist oder eben die Tür zum Flur hinaus, über welche du rein kamst. Du musst es nur wollen, sollte doch mal was sein ich bin ja auch immer da, doch dazu musst du mir einen Namen geben”. Ohje, dachte sich das Mädchen, wie soll ich denn einen passenden Namen für ein Wesen finden, das nichts Ganzes und nichts Halbes ist? Sie las gern und sehr viele Bücher über die unterschiedlichsten Kulturen, Sagen und Mythen, vielleicht fand sie darin einen passenden Namen für das Ding, welches vor ihr saß. Irgendetwas würde ihr schon einfallen, es bewegte sich leise und geschickt wie eine Katze und rollte sich zusammen wie eine Schlange zum Schlafen. So überlegte sie drei ganze Tage und Nächte lang und während sie so das Nagual beim Schlafen beobachtete, fiel ihr auf, dass das Fell gar nicht weiß, sondern perlmutt-silbern war. Sie beobachtete wie das Mondlicht über es streifte und sein Fell wie ein Regenbogen schimmerte, als eine kühle Brise durch das Fell glitt, welche zum offenen Fenster hereinkam. Endlich ein wenig Abkühlung dachte Freya bei sich und war bald darauf zufrieden eingeschlafen.
Am nächsten Morgen wurde sie etwas unsanft aus ihrem Schlaf gerissen, denn das Nagual tapste aufgeregt auf ihrem Bauch herum. Sie schlug ihre Augen auf und vor ihr ganz nah war das putzige Axolotlgesicht: ,,Uuund und und und und ?? Ich habs gespürt, in dir hat sich was getan. Wie ist nun mein Name?”, fragte es aufgeregt und mit leuchtenden Augen. Freya lachte, sie war sich sicher, wenn sie länger warten würde, würde das süße Tierchen noch platzen vor Neugier. ,,Ok, ok, ok lass mich erst aufsetzen bitte”, bat sie es freundlich. Das Tierchen krabbelte vorsichtig von ihr herunter und saß dann mit einem erwartungsfreudigen Blick neben ihr und sah sie an, das brachte das Mädchen wieder zum Lachen. Nachdem sie sich beruhigt hatte begann sie: ,,Ich habe sehr lange überlegen müssen, erst wusste ich gar keine Namen, dann fielen mir einige ein, aber die passten irgendwie nicht zu dir. Also fing ich an dir beim Schlafen zuzusehen und bemerkte einige Details, die mir tagsüber nie aufgefallen waren. Deine Anmut, wie du dich bewegst, Dein Fell welches bei Nacht gar nicht weiß ist, sondern perlmutt-silbern und am Tage hellblau wie das Eis bei mir zuhause”. ,,Interessante Sichtweise, so wurde ich und so genau habe ich mich selbst noch nie betrachtet”, sagte es nachdenklich und sah an sich herunter: ,,Aber wie nennst du mich denn nun?”, wollte das Nagual grollend wissen, man hörte ein wenig seine Ungeduld im Unterton.
,,Schade, denn du bist sehr hübsch und unglaublich süß”, meinte Freya mitleidig: ,,Wenn du einverstanden bist, werde ich dich ab sofort Njörd nennen”. ,,Aber ich bin doch gar kein Gott”, erwiderte es, ,,Doch du hast etwas an dir, was dich göttlich erscheinen lässt, und außergewöhnlich bist du auch noch, denn so ein Tier habe ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen”, konterte Freya darauf. Während der Unterhaltung waren sie nach draußen gegangen und hatten es sich im hohen Gras bequem gemacht. ,,So sei es”, sagte das Tierchen und wurde plötzlich starr wie Stein, ,,Njörd? Njörd ist alles ok? So bitte antworte mir doch!”, rief das Mädchen voller Panik und war schon kurz davor in Tränen auszubrechen als….. ja als doch tatsächlich die kleine starre Figur neben ihr zu beben, knacken und ächzen begann. Der ganze Hügel vibrierte, sogar dem Baum fielen ein paar Blätter ab, an der Figur waren der Kopf abgeplatzt und der Rücken war mit Rissen überzogen, wie bei einem Ei.
Freya sah sorgenvoll zu dem alten knorrigen Baum hinüber, er könnte umstürzen oder in der Mitte entzweibrechen, sollte das Beben noch lange so weiter gehen. Das Beben hörte urplötzlich auf, als sie zur Statue neben sich schaute, war diese spurlos verschwunden, sie hatte nur eine Sekunde nicht hingesehen, eine starre Figur konnte sich nie im Leben von selbst wegbewegen. Sie war mehr als verwirrt und tausende Fragen schossen ihr durch den Kopf. Hatte sie das Nagual nun vergrault? Hatte ihm der Name dich nicht gefallen? War sie nicht brav genug? Hatte sie etwas falsches gesagt? War es beleidigt? War sie vielleicht zu brav gewesen? Oder hatte sie es befreit mit dem Namen, den sie ihm gab und jetzt kommt es nie wieder? Würde Njörd sie nun hier zurück lassen nach all der Zeit, die sie zusammen verbracht hatten?
Stunden, Tage und Wochen, die sie sich in den Schlaf weinte, vergingen, doch hörte sie kein einziges Lebenszeichen von Njörd. Nach zwei Monaten war sie einfach nur noch wütend, sie wollte gerade aufstehen, um nach draußen zu gehen, da fiel ihr auf, wie dünn sie doch geworden war. Ihre Hose rutschte, wenn sie stand, einfach an ihr herunter als wäre da gar nichts was sie hielte. Voller Schreck stellte sie fest, dass sie vergessen hatte zu essen und dass sie nur noch Haut und Knochen war. So schluckte sie ihren Ärger herunter und kümmerte sich um sich selbst, Freya legte einen Teller vor sich, die Gabel links und das Messer rechts davon und schloss die Augen. Doch leider hatte sie so gar keine Ahnung, was sie essen wollte, denn sie verspürte immer noch keinen Hunger, doch der Tisch half ihr ein wenig und ließ einen Topf, voll mit Gemüsebrühe, in welcher kleine Klößchen schwammen, erschien. Dazu tauchte ein Korb mit frischem warmen Brot auf, dessen Kruste noch leicht knackte, als würde es noch nachbacken. In dem Moment, als sie das Mahl roch, hatte sie endlich Hunger, gierig aß sie den halben Topf leer und ein Drittel des Brotlaibes auf. Als Nachtisch stellte sie sich noch eine Schüssel Schokopudding mit Erdbeeren vor, der vor ihr stand, als sie ihre Augen wieder öffnete, gierig machte sie sich auch darüber her. Pappsatt und zufrieden ging sie Baden und legte sich dann noch ein wenig ins Gras und schaute zu den Sternen auf.
Freya liebte diesen Ausblick, der dunkelblaue fast schwarze Nachthimmel war wolkenfrei und voll mit funkelnden Sternen übersät.
Sie seufzte leise, denn sie vermisste ihren Begleiter, der die ersten langen Monate immer an ihrer Seite war. Während sie so in die Weiten blickte, wurde ihr klar, dass nun ein wenig mehr als zwei Monate vergangen waren als er wie vom Erdboden verschwand. In diesem Moment fiel ihr auf, dass der Himmel ein wenig komisch war, es war, als hätte jemand eine Lupe darüber gelegt, denn die Sterne und der Mond schienen heute näher als die vorherigen Nächte. Sie erinnerte sich daran, dass Njörd sagte, er sei immer bei ihr, doch wo war er jetzt? Sie akzeptierte, dass er nun mal nicht mehr da war, und machte sich noch einige schöne Tage. Vier Tage später sah sie auf die Uhr und stellte fest, dass auf dem Flur erst sechseinhalb Minuten vergangen und es waren immer noch eine Stunde und fünfzig Minuten übrig bis die Zusammenkunft mit der Ältesten stattfinden sollte. Das bedeutete für sie, dass sie noch eintausendeinhundert Tage und damit drei Jahre und ein paar Tage hier sitzen würde, Tagein und Tagaus dasselbe Tun und sehen. Freya fand es langsam etwas öde und langweilig an dem Ort, an dem sie gerade war. Als sie so darüber nachdachte, ob es noch überhaupt etwas zu machen gab, bemerkte sie aus den Augenwinkeln etwas Glitzerndes. War es erst jetzt aufgetaucht, weil sie sich langweilte? Oder hatte sie es einfach die ganze Zeit über nicht gesehen? Vielleicht hatte sie es auch einfach ausgeblendet? Hatte es die ganze Zeit nur darauf gewartet, dass sie sich nicht mehr an diesem Raum erfreuen konnte? Konnte es auch eine Falle sein? Hatte es dort denn immer schon geglitzert? Ob man dem einfach nachgehen konnte, ohne gleich in Gefahr zu geraten? Nach vielen Überlegungen schob Freya ihre Fragen, welche ihr durch den Kopf spukten, beiseite und beschloss, auf das Glitzern zuzugehen. Sie lief den Hügel hinunter, durch ein Tal mit hohem Gras bewachsen. Um sie herum zirpten die Grillen und schwirrten Glühwürmchen, es war atemberaubend schön, anzusehen. Die Stellen an denen sie das Gras berührte oder darüber lief, finge es an leicht, zu leuchten. Freya war fasziniert von dem Anblick, der sich ihr diese Nacht bot, das alles hatte sie die ganzen letzten zwei Monate verpasst als sie nur auf dem Hügel und im Baum verweilte.
Eine Weile später als sie an einem Waldrand ankam, wurde das Glitzern und Leuchten immer heller. Freya sah sich um, denn erst dachte sie es sei der Mond, doch dieser war groß und leuchtete silbern zu ihrer linken Seite am Himmel zu sehen. Im Wald selbst herrschte Totenstille, nicht mal ein Grille oder Zikade war zu hören und auch kein Glühwürmchen zu sehen. Es war ganz so als trauten sich die Tiere entweder nicht in den Wald oder wegen dem, was da so schimmerte, was auch immer es war, es musste wunderschön oder furchterregend sein, das stand fest. So lief sie noch eine Weile durch den Wald direkt auf das Schimmern zuhaltend, da fiel ihr auf, dass sie leise eine wunderschöne Melodie und Gesang wahrnahm. Hier an dem Ort, wo sich keiner traute, war Musik? Das kam ihr etwas komisch vor und sie sah sich noch öfter um, denn es könnte ja auch eine Falle sein. Freya war schon fast wieder aus dem Wald heraus, als sie stehen blieb, denn sie erblickte eine hell erleuchtete Lichtung. In der Mitte dieser Lichtung stand eine Türe, diese war weiß wie der Schnee und schimmerte sanft. Um die Tür herum waren überall, sie dachte zuerst Fliegen oder andere fliegende Tiere, doch dafür waren sie zu durchsichtig und zogen, wenn man genau hinsah einen leichten weißen Streifen hinter sich her. Von hier stammte auch die wunderschöne Melodie, welche Freya, seit der Mitte des Waldes vernahm. Als sie das Geschehen fasziniert weiter beobachtete, musste sie vergessen haben in Deckung zu gehen, denn plötzlich war es still auf der Lichtung. Doch viel ihr schnell auf, dass es anscheinend nicht ihretwegen gewesen war, denn dort am anderen Ende trat ein weißer Hirsch mit vier Geweihen auf die Lichtung. Jedes der vier Geweihe hatte neun Auswüchse, es musste schwer für ihn sein all das auf seinem Kopf, auf seinem zierlichen Körper zu tragen wunderte sich Freya. Trotzdem schritt dieser leise Richtung der Tür, welche sich einen Spalt öffnete, dann hob das Tier den Blick und schaute Freya direkt in die Augen. Sie verstand sofort, es war an der Zeit für sie zu gehen und einen neuen Raum zu betreten. Ehrfurchtsvoll schritt sie auf den Hirsch zu und bedankte sich bei ihm, indem sie sich vor ihm verbeugte.
Kurz darauf stand sie wieder auf dem ihr bekannten Flur. Nun leuchteten alle Türen in dem Flur, manche pulsierten bläulich, andere wiederum in einem warmen orange ton und wiederum andere waren so grell, dass man sie nicht ansehen konnte. Während sie den Flur weiter entlang schritt, bemerkte sie, dass manche Türen, welche nach einer gleißenden Tür kamen, schwarz oder dunkelgrau waren.
Noch dazu kam, dass diese weder leuchteten, noch pulsierten oder anderweitig versuchten, auf sich aufmerksam zu machen. Scheinbar wurde sie vom Flur getestet, doch wusste sie selbst noch nicht welche sie, als Nächstes öffnen sollte. Es waren ja so viele Türen, doch fände sie, es interessant zu wissen, welche Räume und Welten sich hinter ihnen versteckten. Schlussendlich siegte ihre Neugier und sie öffnete einer der Türen mit warmen orangeton. Dahinter fand Freya einen Wald, auf den ersten Blick sah dieser aus wie der, der hinter dem Dorf lag. Sie ging auf den Wald zu und die irgendwo hinter ihr fiel die Tür ins Schloss. Der Anblick war atemberaubend, der Mond war als großer silberner Ball mitten am Himmel zu sehen, weiter hinten glitzerte etwas im Mondschein. Es war still, doch hin und wieder hörte sie Geräusche und Rufe, welche ihr fremd waren. Zuhause gab es nur Elche, Füchse und Wölfe, die Neugier trieb Freya immer weiter in den Wald hinein. Was das wohl für Tiere waren? Oder waren es überhaupt Tiere, die sie da hörte?
Die Bäume standen so dicht beieinander und das Gestrüpp üppig gewuchert, dass fast kein Mondlicht den Waldboden berührte. An einigen Stellen war, fand sie gar keinen Halt und rutschte fast aus oder schlitterte übern den Morast. Nach einer Weile kam sie an ein Gewässer, Freya war verwundert, denn sie hatte nirgends Bäche oder einen Fluss gesehen oder geschweige denn gehört. Es hätte glatt eine Szene aus einem Märchen sein können, welches ihr die Mutter früher immer erzählt hatte. Auch dort gab es einen See mitten im Wald, das Wasser so kristallklar, dass das Mondlicht sich nicht nur spiegelte, sondern den ganzen See zum Leuchten brachte, da das Licht bis zum Grund hinunter drang. Das war immer ihre Lieblingsstelle gewesen, bevor sie einschlief und davon träumte. In diesem Moment kam wieder ein Geräusch zwischen den Bäumen hervor, es klang wie da Fiepen eines Fuchswelpen, doch war sie sich nicht ganz sicher, da vieles anders klang als zuhause. Als nichts weiter passierte, ging sie weiter auf den See zu und wollte sich die Füße säubern, doch es ging nicht. Freya versuchte, es an vielen verschiedenen Stellen doch nirgends kam sie in oder an das Wasser. War es denn überhaupt flüssig? Oder war er zugefroren? Einige Momente später gab sie es auf und suchte sich einen Platz, der trocken und gemütlich war, um sich schlafen zu legen. Sie wollte es bei Tage noch einmal probieren und sie hoffte, mehr sehen zu können in diesem dichten Wald.
Sie hatte gerade die Augen geschlossen, als sie kurz darauf von etwas Hellem wieder geweckt wurde. Vollkommen erschöpft öffnete sie ihre Augen wieder und musste feststellen, dass es das Tageslicht war. Die Sonne war schon fast ganz hoch am Mittagshimmel zu sehen. Wie viele Tage hatte sie geschlafen oder waren es doch nur Sekunden gewesen?
Freya wunderte sich zuerst, doch dann fielen ihr die Worte von Njörd wieder ein. Also machte sie sich auf den Weg, um eine Uhr zu suchen, während sie so lief Schaute sie auch einmal kurz auf den Weg zu ihren Füßen. Urplötzlich blieb sie stehen und sie überkam Panik, sie dachte, sie sei in der Nacht durch Matsch gelaufen, doch warum waren ihre Füße rot?
To be continued…

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