Die Prüfung

Von Gipfelbasilisk

Marius spülte gerade die letzte Flasche mit Salz aus. Er hatte sich auf diesen Zauber für seine Prüfung monatelang vorbereitet. Golemzauber brachten immer die höchste Punktzahl, wenn sie glückten. Er würde dann sein Magierabitur mit summa cum laude abschließen und könnte im Heilerzweig der höchsten magischen Universität Deutschlands studieren. Magischer Chirurg war sein Traumberuf. Er hatte sich schon immer für den menschlichen Körper interessiert und ihn zu heilen, war sein Traum. Dann kam der Tag der Sommersonnenwende. Der Tag, an dem klassischerweise die Abschlussprüfungen durchgeführt wurden, bevor es für alle in die Sommerferien geht. Marius hatte sich überlegt, dass es doch sinnvoll wäre, wenn die Tränke, die man für seinen späteren Beruf benötigte, auf Zuruf zu einem kommen. Die dafür notwendige Sigille, damit die kleinen Flaschengolems auf ihn hörten, hatte er vor Monaten entwickelt und mehrfach getestet. Alles würde wie am Schnürchen laufen. Er betrat den Raum der Prüfung. Die Altmeister, die für diesen Bezirk für die Prüfungen zuständig waren, saßen an einem langen Tisch. Es waren vier an der Zahl. Für jeden Prüfling an diesem Morgen einen. Mit in der Prüfung waren drei seiner härtesten Konkurrenten, wobei er mit zweien befreundet war. Die Magierin Akiko und der Magier Abeeku waren seine besten Freunde und er freute sich, mit ihnen zusammen zur Prüfung antreten zu können. Rechts von ihm war aber der Typ, der ihm schon seit Schulbeginn das Leben zur Hölle machte. Michael, ein ausgemachter Schwarzmagier – auch solche musste es geben – aber er hasste ihn für seine Boshaftigkeit. Ständig wurde er von ihm getriezt. Wie konnte nur jemand, der so gut aussah, so böse sein?
Sie alle gingen an ihre Arbeitsplätze und begannen mit ihrer Prüfung. Marius zog sofort einen Bannkreis, damit die Flaschengolems nicht vom Tisch springen konnten, wenn sie erst einmal zum Leben erwacht waren. Sonst müsste er sie hinterher jagen. Er musste nämlich fünf herstellen. Das war die Auflage, unter der sein Prüfungszauber schlussendlich zugelassen wurde. Er nahm die vorbereiteten Fläschchen aus seiner Tasche, legte daneben den Lehm und dann sprach er die magischen Worte, formte den Lehm um die Flaschen und ritzte die Sigillen in den Lehm. Anschließend stellte er nach und nach fünf kleine Männchen in den magischen Kreis. Rechts neben ihm bebte es und aus Michaels Arbeitsplatz stieg grünlich-blauer Rauch und eine Höllenschlange drang aus seinem Reagenzglas, flog eine Schleife durch den Raum und verschwand wieder in dem Reagenzglas. Was ein Angeber. „Bestanden“, sprach der Altmagus und Michael verneigte sich.

„Was glotzt du so, kümmer dich lieber um dein Spielzeug“, rief er zu mir herüber, als er meinen Blick merkte.
Ich konzentrierte mich wieder auf meinen Zauber und sprach die letzten Worte. Der Lehm zog sich enger um die Flaschen zusammen und wurde glatt. Die kleinen Flaschengolems öffneten die Augen und sprangen fröhlich brabbelnd aus dem Kreis heraus und vom Arbeitsplatz herunter. Der Trankgolemzauber war geglückt, aber der Kreis, der sie im Zaum halten sollte, hielt offensichtlich nicht. Marius jagte hinter den kleinen Flaschengolems hinterher und fing einen nach dem anderen ein, hielt sie hoch und befahl ihnen stehen zu bleiben. Nach diesem ersten Befehl mit Berührung hörten sie auf sein Wort und reihten sich vor dem Altmagus auf. 

Mist! Bei einer einfachen Schutzvorrichtung zu versagen, hieß in der Regel, bei der Prüfung durchzufallen. Der Altmagus stand auf und sagte nichts. Es war wirklich vorbei. Er ging zu seinen Kollegen und alle vier gingen um den Tisch herum zu Marius’ Arbeitsplatz. Marius hatte sich so auf seine Aufgabe konzentriert, dass er nicht mitbekommen hatte, dass seine zwei Freunde schon bestanden hatten. Die vier Alten prüften seinen Arbeitsplatz und kehrten zu ihren Plätzen zurück. 

„Entschuldige, dass du warten musstest. Ich habe dein Tun sehr genau beobachtet und du hast keinen einzigen Fehler gemacht. Dein Kreis ist perfekt, die Durchführung des Zaubers war tadellos und die Golems hast du sehr schnell wieder im Griff gehabt. Es konnte ja niemand damit rechnen, dass der Raum beben würde. Dank deines Klassenkameraden kam es zu einem Haarriss in deinem Tisch. Da sie damit nicht rechnen konnten, haben wir beschlossen, sie bestehen zu lassen. Summa cum laude. Herzlichen Glückwunsch.“ Er wandte sich an seine Kollegen: „Meine Herren, wir brauchen im nächsten Jahr wohl bessere Tische. Unsere Prüflinge werden in dem, was sie tun, immer ambitionierter. Was ist eigentlich aus den guten alten Feuerbällen geworden? Das hatte doch früher auch gereicht?“

Er hatte bestanden. Er konnte es nicht fassen. Er hatte wirklich bestanden.
Mit Auszeichnung.