H. G. Wells

Die Zelle, in die sie ihn steckten, war klein, zu klein. Er hasste kleine Räume. Vier kahle Wände, eine Tür, eine Pritsche, ein Klo und ein Waschbecken. Alles grau, so wie die Kleidung, die sie ihm gaben.
„Lasst mich raus. Ich gehöre hier nicht hin, mein Name ist H. G. Wells und ich komme aus dem Jahr 1898“, schrie er durch die Tür, grade in dem Moment als sie sich öffnete.
Ein Mann in weißem Arztkittel betrat die Zelle und bedeutete ihm wortlos, sich auf die Liege zu setzen. Mit strengem Blick blätterte er in einem Ordner, den er bei sich trug.
„Laut meinen Unterlagen heißen sie Noah Turner, sind zweiundzwanzig Jahre alt und kommen aus London, ist das richtig?“, fragte er.
Jetzt, da ihm endlich jemand zuhörte, polterte der junge Mann, der sich H.G. Wells nannte, los: „Was erdreisten sie sich eigentlich? Ich bin vor zwei Stunden in meiner Zeitmaschine angekommen. Sie nehmen mich fest, bringen mich hierher und stellen sich nicht einmal richtig vor, geschweige denn, dass Sie mir sagen, was ich verbrochen habe, um so eine Behandlung zu verdienen? Ich weiß zwar nicht aus welcher Zeit Sie kommen, aber bei uns in London hatten die Menschen zu meiner Zeit noch Umgangsformen.“
„Sie wissen, dass was sie sagen, nicht sein kann?“
„Bezichtigen sie mich etwa der Lüge? Ich bin ein integrer Mann, werter Herr! Immerhin habe ich das großartige Buch ‚Krieg der Welten‘ geschrieben.“
„Genau das tun wir. Wie sie sicher wissen, sind seit dem 23.06.2046 jegliche Lüge, fiktionales Denken und ähnliche Handlungen strafbar. Auch das Buch von dem sie sprechen, gibt es nicht mehr. Es gibt keinerlei Beweise, dass es außerirdisches Leben gibt, welches die Menschheit bedrohen würde. Mich wundert aber, dass sie dieses Werk kennen, es wurde bei der ersten Säuberungsaktion, kurz vor ihrer Geburt 2047, verbrannt. Der Hirnscan, der standardmäßig gemacht wird, zeigt zwar keinerlei geistige Einschränkungen, zeigt aber auch, dass sie glauben, was sie sagen.“
Der junge Mann, der sich H.G.Wells nannte, reagierte schockiert auf die Aussage, dass sein Buch verbrannt wurde, fing sich aber schnell wieder und sagte frech: „Ich sagte doch, dass ich nicht lüge, hören sie mir überhaupt zu? Aber da wir ja festgestellt haben, dass ich nicht lüge; kann ich jetzt gehen, falls sie keine Einwände haben?“
„In der Tat habe ich Einwände. Ich bin hier, weil ich Arzt bin und entscheiden muss, ob Sie absichtlich lügen, oder ob Sie geistig verwirrt sind.“
Der Arzt holte ein Gerät hervor, das ein blaues Licht erzeugte, und richtete es auf seinen Kopf.
„Erzählen sie jetzt bitte noch einmal genau, was Sie taten, bevor die Beamten von der Gesellschaft zur Überwachung fiktionalen Denkens sie aufgegriffen haben!“
„Das sagte ich doch schon mehrfach, ich bin in London im Jahr 1898 in meine Zeitmaschine gestiegen, und die Welt um mich herum veränderte sich, das Haus, in dem ich startete, verschwand, und plötzlich stand ich auf dem Platz, auf dem mich diese rüden Personen festnahmen. Ich bin gerade aus der Maschine ausgestiegen, da sind sie auf mich zugerannt, haben mich mit dem Gesicht auf den Boden gedrückt, mit Handschellen gefesselt, und mich hier hergebracht.“
„Als die Beamten sie aufgriffen, war da aber keine Maschine. Sie standen alleine auf einem Platz, hatten normale Kleidung an. Nichts deckt Ihre Aussagen. Aber die Überprüfung zeigt, dass sie dennoch glauben, die Wahrheit zu sagen. Ich werde deshalb veranlassen, dass sie in eine psychiatrische Klinik überwiesen werden.“
Der Arzt packte das Gerät, welches er genutzt hatte, wieder ein und ging ohne ein weiteres Wort.
„Aber ich lüge nicht und bin auch nicht krank.“ Die ganze Situation, versetzte ihm einen Schock, war er wirklich krank? Nein, das konnte nicht sein.
Er war immerhin H. G. Wells, Autor von Krieg der Welten und Zeitreisender. Aber für eine Sekunde zweifelte er daran. War er in Wirklichkeit Noah Turner? Nein, er war H. G. Wells, da war er sich sicher.
In der Tür drehte sich der Arzt noch einmal um.
„Wenn sie wissen, was gut für sie ist, verhalten sie sich zukünftig wie ein normaler Mensch. Es war ihr erstes Vergehen, da wird man Milde walten lassen, wenn sie sich einsichtig zeigen. Bitte tun sie sich aber einen Gefallen und lügen sie sie nicht an. Denn das werden sie merken, und ihre Lage wird dadurch nicht besser werden.“
Der Arzt schaute ihn abschätzig an, H.G.Wells fühlte sich entmutigt. Der Blick des Arztes sagte deutlich, dass er niemals hier rauskommen würde.
Damit schloss sich die Tür und der junge Mann war nun alleine in seiner Zelle.

Der Text ist als Lösung der Einsendeaufgabe Nummer 7, für die Schule des Schreibens entstanden und wurde im Livestream vom 11.12.2020 vorgelesen.