Höllenparty

Von: Gipfelbasilisk

Auszüge aus Dante Alighieris Göttlicher Komödie – Dritter Gesang


Halloween. Ein Ort der Freude an dem das Leben pulsierte. Gestalterisch ein dunkler Wald mit verborgenen Pfaden und dunkelen Nischen, um die Lust zu zelebrieren. Die Menschen in der Menge stießen die Hände in die Luft und bewegten sich ekstatisch im Takt der Musik. Ein Panthertier leichtfüßig und behände tanzte eng umschlungen mit einem Löwen mit stolz geschwellter Brust. Ein Wolf mit hungrigem Blick saß am Rand und sondierte die Lage.
Sie stand über ihnen allen, steuerte die Klänge und spürte sehr genau die verschiedenen Gefühle der Menschen in der Menge und wie ihre Herzen begannen im gleichen Rhythmus zu schlagen. Denn sie gab ihn vor. Ihre Lippen flüsterten Worte der Macht und der Nebel der Maschinen spiegelte deutlich die Wellen der Energie, die sich langsam im Raum aufbaute. Jede Hand, die den Dunst durchstieß, jeder Herzschlag, jeder gestohlene Kuss kurzum jedes Gefühl ein Tropfen, der die Magie weiter anschwellen ließ. So viel Vorbereitung, so lange Zeit getrennt. Heute Nacht würde sie sich wiederholen, was ihr genommen wurde.
»Ich werde nicht um euch weinen…«, sang die tiefe Stimme zum schweren Bass der Musik. »Das Schwert wird fallen, ich werde nicht weinen.«
Sie lächelte, schloss die Augen und begann ihren Körper im Takt zu bewegen und sich mit den tanzenden Leibern zu verbinden, ihren Herzschlag in Einklang zu bringen. Magie war Leben, war Gefühl, war nichts Zielgerichtetes im Sinne eines Zauberspruches, obwohl es solche gab, sie selbst nutzte sie ja auch, nur waren sie eher eine schöne Makulatur um sich einzustimmen. Wie heiße Wellen brandete die sich aufbauende Energie an ihrem Körper, und verband sich mit ihr. Eine wohlige Gänsehaut überlief ihre Haut. Das Blut pulsierte in den vielen Gestalten. Sie kam ihrem Ziel näher. Die Ektase nahm immer weiter zu, einige Menschen in der Menge rissen sich die Oberteile vom Leib.
»Beatrice!«, der geflüsterte Name brachte ihr Herz aus dem Takt. Sie stoppte, atmete tief durch. Woher kam das Flüstern. Da sah sie ihn, den Schatten einer jungen Frau. Eine Hand die nach ihr Griff und sie mit sich herunter zerrte in die Schwärze. Eine Erinnerung ein Nachhall, der Grund für das alles. Sie sah auf die Menge, die Körper, die sich langsam röteten, salzige Perlen auf glänzender Haut. So wunderschön und gleichzeitig unendlich traurig, doch sie hatte keine Wahl und verband sich wieder mit den Tanzenden. Ein erster Schrei drang an ihre Ohren.
»Ich werde nicht um euch weinen …« Eine Zeile, die sich in ihr Hirn brannte, so wie die Leiber anfingen zu brennen und den Geruch nach versengtem Fleisch verbreiteten. Sie schrien, die Gesichter verzerrten sich, doch sie tanzten weiter, gefangen in ihrer Magie, verloren in ihrer Beschwörung. Ihre Haare bewegten sich in der aufsteigenden Hitze. Nur wenige Momente noch. Der Nebel vermischte sich mit Rauch der an die Decke der Tanzbar stieg und sich zu einem Wirbel aus weiß und schwarz verband. Sie begann sich zu drehen, die Musik schwoll an und sie nahm wahr wie sich die Magie in dem letzten Bass des Liedes wie ein Höhepunkt über sie alle ergoss. Doch hatte er nichts reinigendes. Er legte sich eher wie eine Last auf ihre Schulter, sie würde morden. Sie wurde von der Druckwelle ergriffen und in die Mitte des Rauchnebelwirbels gerissen und von den dicken Schwaden umspült. Spürte nur, wie ihr Körper langsam zu Boden schwebte. Die Musik verklang. Das matte Gefühl von Einsamkeit erschlug sie fast, in der plötzlich einsetzenden Stille. Sie fühlte, dass die Menge nicht mehr war.
Dann lichtete sich die Szenerie und sie konnte wieder sehen. Asche fiel von dem Wirbel, der weiterhin an der Decke rumorte. Die Menschen waren allesamt in Ekstase verbrannt. Hoffentlich hatte die Menge ausgereicht für diese Beschwörung. Sie würde ihre Rache bekommen, sie würde das Leid, dass sie erfahren musste, ausgleichen oder Beatrice sogar retten. Sie war die Gute. Obwohl es sich in diesem Moment nicht so anfühlte. Jede anwesende Person hatte es verdient, dennoch sie hatte Leben genommen. Richterin gespielt für Menschen, die Elend verbreitet hatten, ohne bestraft zu werden. Würde sie sich gleichwohl dafür verantworten müssen?
Zwei kupferne Hörner durchstießen den Wirbel. Sie trat einen Schritt zurück. Das Gesicht eines Minotaur mit feurigem Blick folgte. Mit Fell besetzte Haut. Eine mit groben Tuch umhüllte Lende, dann Beine und Hufe. Das Wesen drehte sich und kam fast sanft auf dem Boden auf. Feuer Drang aus seinem Maul, als es den Mund öffnete. In einem Arm erschien ein aus Flammen geformtes Buch.
»Du hast mich gerufen Feuerhexe!«, donnerte seine Stimme
»Ja, Ifrit.«
Er verneigte sich vor ihr. Sie musste aufpassen. Diese Wesen waren Listig und es war es aus guten Gründen verboten sie zu beschwören, doch hatte sie keine Wahl.
»Wir haben zu tun, los wir müssen …«
»Meine Bezahlung?«, donnerte er.
Sie schauderte bei dem Gedanken, was er fordern würde. »Reicht dir nicht das Leben, dass ich dir zu ehren an diesem Abend opferte.«
»Du weißt, dass es nicht genügt. Empfange das Siegel. Es bindet uns aneinander. Ich werde, wenn es mein Wunsch ist diese Ebene durch dich betreten und du wirst mir dienen, im Gegenzug werde ich dir ebenfalls hilfreich sein. Eine Hand verbrennt die andere.«
Sie ergab sich dem Schicksal, und legte Ifrit ihre linke in seine geöffnete Kralle und empfing das Feuermal. Der erwartete Schmerz blieb aus. Auf dem Handrücken leuchtete sein Siegel einen Augenblick lang auf, schwärzte sich und wurde matt, wie ein altes Tattoo.
»Du wirkst überrascht?«, sprach der Dämon belustigt.
»Die Zeiten von Brandeisen sind wohl vorbei?«
»Hexen… glauben immer noch wir würden mittelalterliche Methoden verwenden, nein, unsereins hat sich entwickelt und jetzt los, auf eurer Ebene ist es mir zu eisig. Was ist zu tun?«
Sie lächelte. »Kalt wird dir nicht mehr lange sein. Ich will hinabsteigen in feurige Höllen und befreien, was mir unrechtmäßig genommen.«
Sein Blick verklärte sich und er sprach: »Durch mich geht’s ein zur Stadt der ew’gen Qualen, durch mich geht’s ein zum wehevollen Schlund, durch mich geht’s ein zu der Verdammnis Thalen. … Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren.« Dann fand er sich wieder und sah sie scharf an. »Die letzte Reise dieser Art ist viele Jahrhunderte her, jetzt ist mir klar, warum du meine Dienste einforderst, war ich doch schon einmal Führer durch die Ringe der Hölle.« Er legte seine Pranke auf ihre Schulter und Flammen umschlungen sie.
Nur einen Augenblick später lichtete sich das Feuer und sie standen in einer weiten grauen Ödnis, nur vereinzelt ragten schwarze knorrige Bäume aus fahlem Dunst. Ein schmaler Weg führte zu einem riesigen Tor, das von Schädeln gespickt die Worte verkündete, die Ifrit nur Momente zuvor sprach.
»Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren.«, las sie laut. »Noch düsterer ging es nicht, ich dachte, die Zeilen wären nur ein Mythos?«
Er wollte etwas erwidern, als um sie herum, Menschen, nein Geister in verbrannten Kostümen darunter ein Löwe und ein Panther, erschienen. Finstere Blicke trafen sie, dann ein Erkennen und Gezeter erklang, sie umringten sie, schrien ihr, ihr Leid entgegen.
Sie hatten recht, mit dem, was sie sagten, sie war schuld, sie hatte sie geopfert, doch sie waren alles andere als unschuldig, das Opfer durfte nicht umsonst bleiben. »Vernichte sie!«
Sie spürte, wie Ifrit an ihrer Seite heißer wurde, ein blau schimmerndes Feuer breitete sich um sie herum aus und das Geschrei verstummte. Sie wischte Asche von ihrer Kleidung und trat dem Höllentor entgegen. »Kommst du?«
»Hörst du sie nicht?«
Sie sah zu ihm und folgte dann seinem faszinierten Blick. Abseits des Weges, das zum Portal führte, sah sie nur die knorrigen Bäume. Sie lauschte und endlich hörte sie schmerzerfülltes Stöhnen. Sie sah genauer, wollte einen Schritt vor wagen, doch da war er schon bei ihr und riss sie zurück. Ihr Fuß schwebte noch über dem grauen Boden, aus dem die Ödnis bestand, schwarze Wurzeln drangen aus der Erde und griffen nach ihr. Sie schüttelte sie ab.
»Das war knapp.«
»Verlasse nie den Weg«, schnauzte Ifrit sie an und deutete dann auf einen nahen Baum.
»Was soll da sein?«
»Sieh dir die Konturen an, das sind die Engel, die sich im Krieg für keine der Seiten entschieden hatten. Sie haben viel Zeit sich mit sich selber zu beschäftigen, denn im ewigen Holz gefangen, als Mahnung vor dem Höllentore ist den Opportunisten der Eintritt in beide Reiche verwehrt.« Er sah sie lächelnd an, Feuer züngelte aus seinen leicht offenstehenden Mundwinkeln. »Noch kannst du umkehren, der Rückweg ist frei. Entscheide dich schnell, wenn es dir nicht wie ihnen ergehen soll.«
Sie zögerte einen Augenblick, doch dann drehte sie sich um. Im Grunde hatte sie sich schon entschieden, als sie heute Abend das Tanzlokal mit dem Namen »In eines Waldes Mitte« betrat.