Partystimmung im Dienst

Text von Amselgunde Bild von Canva

(Fortsetzung von „Das scheue Reh am Sommertanz“ und „Das entkommene Schaf“)

„Auf deinen offiziellen inoffiziellen Rücktritt!“, ruft Magnus schmunzelnd aus und stößt mit seiner Bierflasche gegen Nataschas Apfelsaftflasche an.
„Auf den Rücktritt!“, grinst auch Natascha und nippt dann an ihrer Flasche. Magnus beobachtet sie dabei etwas länger als ihr lieb ist. „Ist was?“, fragt sie deshalb.

„Bist du dir sicher, dass du nicht doch ein Bier willst? Das fühlt sich nicht nach einer richtigen Feier an mit deinem Säftchen.“

Natascha verdreht erneut die Augen. „Jaha, ich bin mir sicher. Und bevor du wieder fragst, nein, ich bin auch nicht schwanger.“

Magnus seufzt spöttisch. „Kann doch sein. Wer weiß, was du mit diesem … Fridolin da treibst.“

Nataschas Augen werden schmal und sie schürzt die Lippen. „Philipp heißt er. Und wir beide wissen, dass du das auch weißt.“

Dann stellt sie ihren Apfelsaft auf dem Schreibtisch neben sich ab und tritt an die Fensterfront. Eigentlich hat sie sich nie für den Ausblick aus dem Funkturm interessiert. Doch heute Abend nimmt sie zum ersten Mal wahr, wie schön eigentlich die Steppenlandschaft beim Mondschein ist.

„Weißt du, bist jetzt hätte ich nicht gedacht, dass ich die Aufgabe vermissen würde.“

„Tja, das scheint diese Trennungsmelancholie zu sein, von der alle immer reden.“

„Ging dir das bei Stella auch so?“, fragt Natascha und kneift die Augen über diese vorlaute Frage zusammen. Als sie sich wieder zu Magnus umdreht, beherrscht dieser gerade wieder seine Gesichtsentgleisung.

Er lehnt sich quietschend im Schreibtischstuhl zurück und knallt die Füße demonstrativ auf den Tisch. Auch wenn er gelassen wirken will, Natascha kennt ihn besser. „Pff, nee wieso? Sie hat doch Schluss gemacht. Und ich versteh’ auch überhaupt gar nicht wieso das jetzt ’ne Rolle spielt. Wir wollten doch deinen Abschied feiern?“

Natascha versucht ein Lächeln und geht einen Schritt auf ihn zu. „Ja, hast Recht. Tut mir leid … Wo ist denn das Radio? Wir könnten Musik anmachen.“

Magnus schürzt kurz die Lippen, doch dann klärt sein Gesicht wieder auf und er dreht sich nach hinten. „Schau mal, das steht jetzt dahinten. Freddie hat es wohl bei seinem letzten Dienst umgeräumt.“

Nataschas Blick folgt Magnus’ Kopfnicken auf die gegenüberliegende Wand. Rechts neben der Tür befindet sich das breite Regal mit Aktenordnern voller Funkprotokolle – und darauf steht das schwarze Radio, das sogar Natascha selbst vor einigen Jahren angeschafft hat. Sie geht zum Regal herüber und schaltet es ein.

Sofort meldet sich ein unangenehm schreiender Radiosprecher, den Natascha allerdings nicht zu Wort kommen lässt. Stattdessen schaltet sie weiter durch die Kanäle bis sie zufrieden bei etwas alternativem Rockgedudel hängen bleibt.

„Gutes Lied“, bemerkt Magnus und trinkt noch einen Schluck aus seinem Bier. „Hey, lass uns tanzen.“ Er springt auf.

Natascha wirft ihm einen irritierten Blick zu. „Seit wann tanzt du denn?“

Magnus grinst. „Das ist deine offizielle inoffizielle Abschiedsfeier. Davon muss sonst keiner was mitbekommen.“

Er nimmt die lachende Natascha bei der Hand und die beide wackeln mehr als sie tanzen durch den sechseckigen Funkraum.

„Oh, Mann. Wir dürfen keinem erzählen, dass wir ausgebildete Drachenkrieger sind und kein Rhythmusgefühl haben“, giggelt Natascha.

„Auch wir dürfen eine Schwäche haben“, erwidert Magnus kess, greift nach seinem Bier und leert die Flasche. Dann greift er unter den Schreibtisch, um noch eine hervorzuholen.

Natascha hält in ihrem mehr als peinlichen Versuchs einer Tanzeinlage inne. Warum darf sie heute Abend keinen Spaß haben und muss ständig die Spießerin spielen? „Äh Magnus?“

„Ja?“, antwortet dieser, öffnet mit einem Plopp die Flasche und dreht sich wieder zu ihr. Er hebt die Flasche zum Anstoßen an.

„Bist du sicher, dass du noch eine trinken willst? Du bist doch auf Dienst.“

„Ja, und das ist dein letzter Abend bevor du – weiß die Göttin wohin – aufbrichst. Das feiern wir schon richtig.“

„Magnus, das Feuer -“

„Ja und?! Da stehen eben ein paar Acker in Ganeplat in Brand! Die Elfen haben die Taukrieger hingeschickt, unsere hochgeschätzte Admiralin Patricia koordiniert die Löschung und Peter ist sogar extra aus der Bereitschaft dazu, um mit Becca und Stella Wasser beizuschaffen. Felix wird in Fupir schon nicht verschütt gehen und auch der kleine Freddie sollte beim Schafezählen nicht einschlafen.“

„Ja aber-“

„Wenn mich jemand hier anfunkt, bekomm’ ich das mit! Jetzt mach dir doch mal nich’ ins-“

Mit einem Piepen mischt sich die auf dem Schreibtisch stehende Funkanlage in die Diskussion ein. Das entsprechende Lämpchen für eingehende Meldungen leuchtet in einem Grau auf, das ist Freddie.

„So viel zum Schafe zählen“, murmelt Magnus und setzt sich mit einem Seufzen hin. „Willst du gerade das Radio wieder leiser drehen?“, fragt er und setzt sich die Kopfhörer auf. Dann greift er nach dem Tischmikrofon und drückt den roten Knopf darauf, um zu Antworten.

„Funkturm hier, bitte ko-“, beginnt Magnus genervt, doch Freddie scheint ihn auf der anderen Leitung panisch zu unterbrechen. Sogar Natascha hört seine Stimme auf der andren Seite der Leitung.

„Jetzt komm mal wieder runter, ja? Wer ist tot und wer hat versucht dich anzugreifen?“

Natascha verschluckt sich, als sie gerade einen Schluck Saft trinken will. Tot und Angreifen? Er sollte doch nach verlorenen Schafen suchen und nicht einer Prügelei beiwohnen!

Auch Magnus schüttelt irritiert den Kopf. „Ich kann dir keine Verstärkung senden! Fast alle Diensthabenden kümmern sich um das Feuer bei Ganeplat.“

Wieder laute Worte auf der anderen Seite des Funkspruchs. „JA, FREDDIE. Ich weiß, dass das keine fünf Minuten von dir entfernt ist. Aber die Getreidekammer von Umbrora brennt! Das ist ein bisschen wichtiger als dein Gemetzel der Lämmer!“

Magnus hört sich die Antwort an und seufzt. „Gut, dann komm erstmal hierhin. Der Medizinkoffer ist noch unter dem Schreibtisch. Funkturm Ende.“

„Was ist mit ihm?“, fragt Natascha. Beklemmung macht sich in ihrer Brust breit.

„Unser Frederik Schimmerauge behauptet, dass der Bauer selbst seine Schafe ziemlich brutal umgebracht haben soll. Als er sich den Tatort genauer angeschaut hat, soll der Bauer mit einer Sichel auf ihn losgegangen sein. Doch bevor sich Freddie wehren konnte, sollen da haufenweise Leute mit Kutten aufgetaucht und auch auf ihn losgegangen sein. Auch wenn er da zusammen mit Contracto rausgekommen ist, sollen die beiden ein paar Schrammen haben. Der Schreck hat ihm wohl zugesetzt und jetzt ist er auf dem Weg hierhin.“

Entsetzt sieht Natascha Magnus an. „Hast du dir gerade selbst zugehört?! Das war eine Falle! Freddie hätte sterben können!“

Trotzig verschränkt Magnus die Arme vor der Brust. „Ist er aber nicht.“

„Meine Göttin. Was ist dein Problem mit Freddie?! Er ist dein kleiner Bruder! Passt es dir nicht, dass er auf seine eigene Weise Großes leistet? Dass er Magier ist und nicht so ein starker, großer Krieger wie du?!“

„Jetzt übertreib mal nicht!“, erwidert Magnus.

„Tu ich nicht!“, entgegnet sie aufgebracht. „Wenn das nicht Freddie am anderen Ende gewesen wäre, hättest du die Person sofort hierhin zitiert und direkt Patricia angefunkt!“

„Ich lasse ihn doch hier antanzen!“

„Ja, nachdem er dich praktisch drum gefleht hat!“

Magnus will etwas erwidern, doch schließt den Mund. Wütend wendet er den Blick von Natascha ab. Dann drückt er einige Knöpfe an der Funkanlage, um eine ausgehende Verbindung herzustellen. Als das entsprechende Lämpchen hellblau zu leuchten beginnt, seufzt Natascha auf.

Magnus stößt nach einer Weile hinter zusammengebissenen Zähnen hervor: „Hallo Patricia, hier Funkturm. Es geht um Freddie…“

Natascha hat genug für einen Abend gesehen. Kopfschüttelnd verschließt sie ihre Apfelsaftflasche, packt sie wieder in ihren Rucksack und schultert diesen schließlich. Magnus wirft ihr aus dem Augenwinkel einen Blick zu. Als er versteht, was sie da gerade tut, weiten sich seine Augen. Doch dann winkt er mit einer eher wegwerfenden Geste Natascha zu, dreht sich demonstrativ von ihr weg und erklärt Patricia weiter die Lage.

Du bist nicht Schuld daran, dass Magnus jetzt sauer ist, wiederholt sie immer und immer wieder in ihrem Kopf, als sie den Funkturm verlässt und die Wendeltreppe ins Hauptquartier hinabsteigt. Vorsichtig schließt sie Eingangstür hinter sich, die mit einem leisen Quietschen ins Schloss fällt.

Du bist nicht Schuld!“, keucht Natascha, während ihr heiße Tränen über die Wangen laufen. Sie verlässt das Gelände das Hauptquartiers ohne sich auf noch einmal umzudrehen. Du. Bist. Nicht. Schuld.