Rainbowwarriors

Text: StefShepardRox

Rechte Gruppen riefen vor Kinderbuchlesung zu Protesten auf, linke Gruppen bildeten „antifaschistische Schutzzone“. Hunderte Beamte waren in Bereitschaft.

Was passierte davor:

„Jetzt hetzen die nicht nur über Dragqueen Lesungen, jetzt planen sie schon eine Gegendemo,“ las P.s Freundin aus Twitter vor.
„Haben diese Pfosten keine echten Sorgen? Letztes Jahr haben die den Eingang einer Bücherei vor einer Lesung zugemauert.“
„Ja. Verdammte Identitäre. Diesmal wollen sie unsere Villa belagern.“
„Was? Nicht unsere Villa!“ P.s Kopf ruckte hoch. Die Villa, das altehrwürdige Lesben und Schwulenhaus Wiens, war kultureller Schmelztiegel der queeren Szene der Stadt. „Soweit kommts noch, dass Faschos unsere Villa bedrohen!“
„Es bildet sich schon Widerstand. Eine Gegendemo. Wir müssen den Platz besetzen.“ P.s Freundin hielt das Handy über den Tisch, um hän den Post zu zeigen.
„Ich gehe da hin. Niemand bedroht ungestraft Queers in Wien!“

Wenige Tage später war klar, dass P.s Freundin in der Villa arbeiten würde, während P. sich einer Bezugsgruppe angeschlossen hatte, um gemeinsam zur Gegendemo zu gehen. Es standen Vorbesprechungen an, im Untergrund. Man wollte nicht, dass die Identitären etwas davon erfuhren, oder die Polizei.
P. war mulmig zumute. Noch nie hatte hän bei einem Treffen das Handy in eine Metallkiste legen müssen. Zum Glück war jemand ihrer Bezugsgruppe dabei, so war sie nicht gänzlich alleine da. Sie waren zu zehnt, als die Stunde des Treffens schlug, doch nach und nach tröpfelten mehr Menschen in den Raum, Stühle wurden weiter und weiter gerückt, bis der Raum brechend voll war.
„Ich hab dir gesagt, gib ihnen noch die akademische Viertelstunde,“ flüsterte P. häns Begleiterin zu, die grinste.
Lagepläne wurden verteilt, Aktionspunkte, Gegendemo Lokations, Vorgehensweisen besprochen. Man teilte Schutzgruppen ein, die die Familien mit den Kindern auf dem Weg zur Lesung und wieder zurück begleiten und gegebenenfalls beschützen sollten. Es war klar, wer die eigentliche Bedrohung für die Kinder war, nämlich die faschistoiden Demonstranten, die sich den Kinderschutz auf die Banner und den Hass in die Herzen geschrieben hatten.
„Wir organisieren Regenschirme, gegen die Pfeffersprays, und damit uns die Faschos nicht fotographieren können, um uns gezielt aufzulauern.“ sagte einer der Organisatoren.
„Lasst eure Handys zu Hause.“
„Nennt ihnen nicht eure Namen, wenn sie euch festnehmen. Macht in eurer Gruppe Decknamen aus.“

Für P. hörte sich das alles an, wie aus einem Film über Untergrundkämpfer. Von Minute zu Minute wurde hän nervöser. Noch nie hatte hän Ärger mit der Polizei gehabt oder hatte sich ernsthaft Sorgen über Tränengas gemacht. Zwar war P. schon auf vielen Demos gewesen, aber noch nie ging es potentiell so heiß her.

Nach der Besprechung besprach hän sich mit häns Begleiterin. Am nächsten Tag sollten sie den Rest ihrer Bezugsgruppe an einem anderen Ort treffen, um denen alles mitzuteilen. Es waren noch zwei Tage bis zum Tag X und P. konnte schon jetzt nicht schlafen. Hän hatte Angst. Nicht vor den Faschos, aber davor, von der Polizei niedergeknüppelt oder festgenommen zu werden. Pfefferspray in die ohnehin von der Allergie empfindlichen Augen zu bekommen. Hän organisierte sich eine Schutzbrille aus dem Bauhaus, doch die erhoffte Beruhigung dadurch, blieb aus. Auch häns Freundin vermochte kaum, hän zu beruhigen. P. lag nachts wach und sagte sich immer wieder: Nur wenn man Angst hat, kann man mutig sein. Hän wusste nicht mehr, aus welchem Film das Zitat stammte, es war auch einerlei. Tapfer sein, das wollte hän, das mussten sie alle sein. Es ging um das queere Herz Wiens.

Das Treffen fand abends in einem verwaisten Bürogebäude statt. Nach und nach trafen die, P. unbekannten Leute ihrer Bezugsgruppe ein. Allesamt trans Personen. Ein Umtsand, der P. auf seltsame Weise beruhigte. Waren es doch genau die Leute, die am deutlichsten wussten, was auf dem Spiel stand. Wie es war, diskriminiert zu werden und wie wertvoll Akzeptanz war.
Mangels einer professionellen Metallbox, wurden die Handys diesmal in die Bestecklade der Büroküche gelegt.
„Wir sollten uns Codenamen ausmachen, damit wir nicht unsere echten Namen bei der Demo rufen müssen.“
„Nennt mich Peach.“
„Ich will nicht Bitch rufen auf der Demo!“
„Nein, mit P.“
„Beach. ok.“
„Nein, hartes P! PEACH!“
„Achsooooo.“
„Der Name ist verwirrender, als ich dachte…“
„Mich könnt ihr Lilu nennen.“
„Green.“
„Äon.“
„Ich bleibe bei Pauli,“ sagte P. „Ich nenne zur Not meinen Namen, ich will nicht ins Anhaltezentrum der Polizei geschleppt werden.“
„Ich eigentlich auch nicht.“
Nur Green wollte Ananym bleiben. Die Gruppe vereinbarte, etwaige anfallende Verwaltungsstrafen, untereinander aufzuteilen. Man merkte deutlich, dass queere Leute, historisch begründet, weit mehr Angst vor der Polizei als den Faschos hatten. Auch die Anderen sprachen davon, nervös zu sein und nicht schlafen zu können. Pauli beruhigte das. Zumindest ging es nicht nur hän so. Jede Person bekam einen Buddy zugeteilt, um aufeinander aufzupassen. Man sorgte auch dafür, dass jemand Cola im Gepäck hatte, da eine teilnehmende Diabetikerin war.
„Unsere Bezugsgruppe nennen wir Garfield“
„Dann ist unser Saveword wenns jemandem zuviel wird: Lasagne.“
Ein kurzer Moment des erleichterten Gelächters hellte ihre Minen auf.
„Dann sehen wir uns morgen um 6.20 bei der U-bahnstation, neben dem goldenen M. Danach kanns sein, dass wir von der Polizei nicht mehr durchgelassen werden.“ Man verabschiedete sich und P. lag die restliche Nacht wach.

Um fünf Uhr klingelte P.s Wecker. Hän erhob sich von der Couch, geschlafen hatte hän ohnehin nicht, trank eine Tasse Kaffee aus der Kanne vom Vortag und zog sich an. Rucksack und Klamotten waren bereitgelegt, P. wollte häns Freundin nicht wecken, die erst später zur Arbeit in die Villa fahren würde. P. kroch dennoch noch kurz zu ihr ins Bett um sie zu drücken. Hän hatte Angst. Riesen Angst.
Die Busfahrt über fühlte sich P. wie auf dem Weg zum Schafott. Hän war als Erstes beim goldenen M und wartete, auf und ab laufend. Es roch, unangenehm, wie es bei U-Bahnen nunmal zu riechen pflegte, wo Nachtschwärmer sich der einen oder anderen Körperflüssigkeit entledigten. Dann kam Äon in einer kreischpinken Jacke und P. fühlte sich wohler. Sie beteuerten einander, wie froh sie waren, dass ihr Gegenüber gekommen war. Nach und nach trafen auch die Anderen ein und man machte sich auf zur Villa. Die war längst umstellt von Polizeibussen und die zugehörigen Beamten patrouillierten die Straße auf und ab. Die Gruppe versuchte, zur Villa zu gelangen, doch der Polizeioberst verscheuchte sie, sagte, sie könnten nur in die Villa rein, aber er würde niemanden mehr raus lassen.
Die Gruppe ging um den Häuserblock herum und kroch unter einer unbeobachteten Polizeiabsperrung durch. P. hatte Probleme, mit den kaputten Knien auf dem Asphalt unten durch zu krabbeln, aber für die Sache, tat hän es und es gelang. Sie drängten sich in die bereits gut gefüllte Villa. Etliche Leute hatten dort übernachtet und man schenkte Orangensaft aus. Die Stimmung war aufgeheizt und man roch die Nervosität noch, bevor man sie in den Augen der Anwesenden sehen konnte. Viertel vor Sieben ging man nach draußen, um sieben sollte die Demo losgehen. Wieder wurden sie von der Polizei vertrieben, vor Sieben hätten sie auf dem Platz nichts verloren. Wie sie um sieben dort hinkommen sollten, sagte ihnen keiner. Die Polizisten waren aggressiv, darauf erpicht, die Demonstrant*innen zu verängstigen.

Sie warteten eine Viertelstunde an der nächsten Ecke, um zur vollen Stunde wieder auf den Vorplatz zu treten. Diesmal ließ man sie. Der kleine Platz war bereits mit Barrikadezäunen umstellt und die paar Demonstranten fühlten sich wie Schlachtvieh vor dem Metzger. Nach und nach fanden sich mehr Regenbogengetreue ein und der Vorplatz war alsbald gut gefüllt. Antifa Fahnen und Regenbogenfahnen schwangen im wilden Gewusel über den Köpfen der Tapferen, die die Kinderbuchlesung mit ihren Körpern verteidigen würden.
Vor P. in erster Reihe entstand ein Gerangel mit der Polizei. Ein Demonstrant hatte zu wild auf das Absperrgitter geklopft. Offenbar wurde Pfefferspray eingesetzt aber niemand verletzt. Die Demo-orga bat die Polizei, mittels Mikrofon, sich zu beruhigen, man wäre friedlich und die Lage entspannte sich.
Wenig später kam es erneut zu einem Gerangel, diesmal hatten die Polizisten ihre Helme aufgesetzt und die Hände an den Schlagstöcken.
„Pauli…wenn sie räumen… bist du dabei? Lassen wir uns wegtragen?“, fragte Green.
P. nickte. Hän hatte Angst. Eine Scheiß Angst. Aber hän würde für die Sache einstehen. Für die Regenbogenfamilie kämpfen.
„Stonewall was a riot,“ murmelte hän und nickte entschlossen. Sie nahmen Aufstellung in erster und zweiter Reihe, bereit den Platz zu besetzen. Eine Frau von der Orga drängte sich durch und begann mit dem Polizeiobersten zu sprechen. Erneut beruhigte sich die Lage und alle atmeten auf. P. löste häns Hand, die sich unbemerkt zur Faust geballt hatte. Die Fingernägel hatten tief in die Handfläche geschnitten.
Im Vorfeld war man davon ausgegangen, dass die Gegendemo um halb neun geräumt werden würde, da um neun am selben Ort die Faschodemo angekündigt war. Um halb neun wurden alle unruhig, bis Äon verkündete, dass die Frau von der Orga mit der Polizei besprochen hatte, dass sie bis dreizehnuhr bleiben dürften, dann würden die Faschos abziehen. Die Menge tanzte ausgelassener zu YMCA und anderen queeren Gassenhauern. Über den Köpfen der Menge gingen die Fenster der Villa auf, Supporter warfen Flugblätter über den Faschos ab und riefen: „We educate even our enemies.“
Eine Dragqueen mit Megaphon jubelte mit einem fröhlichen „Juhuuuuu!“ der Menge zu und die queere Family war damit beschäftigt, laut zu sein, um die Ansprachen der paar dutzend Faschos, die gekommen waren, zu übertönen. Keinen Meter würden die Hater vor die Villa kommen. Niemand sollte die Hassbotschaften hören, die sie verbreiteten.
P. sah auf. Der kleine Wienfluss, der sich neben der Demo entlang schlängelte, blubberte friedlich. Auf der anderen Uferseite tummelten sich ebenfalls Demonstranten. P. konnte die Banner nicht lesen, doch Green versicherte hän, dass es ebenfalls queere Supporter waren, die es nicht mehr zu ihrer Demo geschafft hätten und jetzt die andere Flussseite besetzten. Paulis Füße schmerzten, der schwere Rucksack lag wie Blei auf häns Schultern, doch bei der Nachricht hob sich häns Herz. Hän schluckte eine Schmerztablette und gönnte sich einen Schluck Wasser, auch wenn nicht klar war, wann man das nächste mal aufs Klo kommen würde. Dehydriert umkippen, wollte P. auch nicht.
Begleitet von aufmunternden Worten und dem liebevollen „Juhuuuuu!“ Der Dragqueen über ihren Köpfen, packten die Demonstranten die Schutzbrillen weg und die Jause aus. Auch die Polizei entspannte sich und nahm die Riot-Helme wieder ab. Kurz nach Zwölf kam die Meldung, dass die Faschos abzogen und ein Johlen ging durch die Menge. Man tanzte ausgelassen und sobald die Hetzer außer sicht waren, zog man in die Seitengasse weiter, überließ die Straße wieder der Polizei und den Autos und schmiss in bester queerer Manier, ein Straßenfest des Friedens und der Freiheit. Stundenlange Anspannung und die Schmerzen fielen von ihnen ab und die Menge tanzte… Man hatte es den Faschos gezeigt.
Wessen Villa? UNSERE VILLA!