Von Insekten und anderen Monstern
Text von: Amselgunde
Beitragsbild von: AdobeStock_354547722
CN: Spinne, Käfer, Gewalt gegen Tiere
Der Halm vor ihr schaukelt leicht im Wind und sie hat schon Angst, dass der kleine Käfer gleich abhebt. Doch er krabbelt auf dem langen Blatt weiter Richtung Stängel und lässt sich von der aufkommenden Brise nicht beirren. Ganz still harrt sie aus, sie traut sich kaum zu atmen, während der kleine Käfer weiter krabbelt. Eins, zwei, drei … vier, fünf, sechs Beinchen tippeln über das lange Blatt des Grashalms. Die schwarzen Striche sind kaum zu sehen.
Doch die Beine des Krabblers sind ohnehin nicht so interessant. Viel spannender findet Sara die leuchtend rote Farbe und die…. Vier, nein fünf schwarzen Punkte auf seinem Rücken.
„Bist du ein Junge oder ein Mädchen?“, fragt sie leise und stützt ihr Kinn auf ihre Hände. Der Käfer krabbelt am Stängel des Halms hinauf. Anscheinend will er nicht antworten.
„Hmm. Ich geb’ dir einen Namen, ja?“, flüstert sie. Schließlich soll es ein ganz geheimer Name bleiben nur zwischen ihr und- „Fridolin heißt du jetzt, ja?“
Sara lehnt sich etwas weiter nach vorn, sie muss fast schielen, um den Käfer noch zu sehen. Dieser krabbelt am nächsten Blatt herunter. Sie wertet sein unverändertes Verhalten als Zustimmung.
„Weißt du“, flüstert Sara. „Du musst gut aufpassen. Denn gleich kommt -“
Plötzlich hebt der Käfer mit einem leisen Summen ab. Noch ehe Sara sich wundern kann, verdunkelt ein Schatten die Szenerie und es gibt ein dumpfes Geräusch.
„Hier steckst du also! Versteck dich doch nicht so im Gras!“
Sara sieht hinauf. Vor ihr steht Magnus und deutet mit einem kleinen Holzschwert auf sie. Er trägt ein rotes T-Shirt und eine schwarze Hose.
„Ich hab mich nicht versteckt, ich hab nur -“
„Ja, ich weiß. Komm jetzt, wir müssen los!“ Magnus dreht sich zur Seite und deutet mit seinem Schwert nach vorn in Saras Blickrichtung.
„Aber ich will noch -“
„Quatsch, komm jetzt!“
Sara rappelt sich auf. Sie klopft das Gras von ihrem grünen T-Shirt und ihrer hellbraunen Hose. Sie schaut zu ihrem Freund auf und lächelt. Dessen Augen werden plötzlich groß und ein entschlossener Ausdruck tritt in sein Gesicht. „Monster!“, brüllt er, holt mit seinem Schwert aus und pfeffert es neben Sara in den Boden. Diese trippelt einige Schritte erschrocken zur Seite. Als Magnus das Schwert wieder anhebt, tritt Sara etwas näher an das angebliche Monster ran. Es war eine dicke Spinne. Sara ist erschrocken und sieht Magnus wütend an. „Warum hast du das getan?!“
„Das war ein Monster!“
„Das war eine voll ha- ham- harmlose Spinne! Die hat doch gar nichts gemacht!“, beschwert sie sich und reißt ihre Hände in die Luft.
„Jetzt stell dich nicht an. Das ist nur eine Spinne“, entgegnet Magnus. Sein entschlossener Gesichtsausdruck weicht der Irritation. Doch sein Gesicht wird rot.
„Ja und? Wie würdest du das finden, wenn… wenn, einfach ein Drache kommt und dich vom Boden schnappt und essen würde?“
„Das würde der gar nicht machen. Der kennt bestimmt meinen Papa und mein Papa ist ein Drachenkrieger gewesen“, entgegnet Magnus altklug und kneift die Augen zusammen.
„Und du bist schlau genug und weißt, dass so ein kleines Spinnchen einem gar nichts tut!“, entgegnet Sara aufgebracht. Sie ist so wütend, dass sie zittert. Sie mag es nicht, wenn Magnus wieder so tut, als wäre schlauer als alle anderen.
Magnus will gerade etwas erwidern, als plötzlich ein Ruf von Richtung Dorf zur Wiese am Waldrand herüberschallt. „Magnus! Bist du da? Warum gehst du immer ohne mich los? Ich will doch mitspielen!“
Magnus verdreht die Augen. „Na toll. Nicht der noch. Können wir jetzt gehen? Der soll nicht mitkommen.“
Sara verschränkt die Arme vor ihrer Brust und setzt sich auf den Boden. „Nein, ich bleib hier. Ich will nicht mehr mit dir gehen.“
„Boah, du bist manchmal so blöd ey!“, schimpft Magnus. Er macht auf der Stelle kehrt und zieht von dannen. Mit dem Schwert fuchtelt er wütend durch das Gras.
Sara sagt nichts mehr. Ihre Unterlippe zittert, in ihrem Hals hat sich ein dicker Kloß gebildet, ihre Augen brennen. Manchmal, also manchmal… ist Magnus ganz schön gemein. Sie winkelt ihre Beine an, vergräbt ihr Gesicht in ihre Knie und fängt leise an zu weinen. Auch als sie Schritte hört, die leise durch das Gras schleichen, hört sie nicht auf damit.
Sie spürt, wie sich jemand neben sie setzt, seufzt und dann sie an der Schulter berührt.
„He, warum weinst du denn?“
Sara sieht auf und schnieft. Durch den Tränenschleier denkt, sie erst, dass Magnus neben ihr sitzt. Doch als sie mit dem Handrücken über ihre Augen wischt, erkennt sie seinen jüngeren Bruder.
„Ach Freddi, du bist das.“
„Ja, Magnus hat gesagt, ihr geht raus spielen. Ich wollte mir noch gerade die Schuhe anziehen, aber er ist einfach ohne mich los.“ Er beschwert sich nicht. Er zuckt einfach nur mit den Schultern.
„Ja, irgendwie… spielt er nicht so gern mit dir“, schnieft Sara und wischt sich mit dem Handrücken die Nase ab.
„Ach, na ja. Aber warum weinst du?“, fragt Freddi und legt den Kopf schief. Er streckt die Beine von sich und guckt auf seine schwarzen Schuhe. Wie sein Bruder trägt auch er eine schwarze Hose. Aber sein T-Shirt ist blau.
„Dein Bruder ist manchmal…“, Sara seufzt. „Er ist nicht blöd. Aber manchmal…“
„Kommt das einem so vor“, murmelt Freddi.
„Genau. Und dann ist er manchmal ganz schön gemein.“
„Aber trotzdem spielst du noch mit ihm.“
„Ja, aber weil er auch nett ist.“
Eine Weile schweigen die beiden. Dann steht Freddi wieder auf und stellt sich direkt vor Sara. Sie schaut zu ihm auf. Freddi lächelt. Er sieht zu ihr und dann wandert sein Blick zu der Spinnenleiche neben Sara. Er schürzt die Lippen, seufzt und schaut wieder zu Sara. „Weißt du, du klingst manchmal wie unsere Mama.“
Sara zieht die Augenbrauen hoch. „Wieso das?“
„Wenn deine Mama zu Besuch ist und mit unserer Mama spricht, dann sagt unsere Mama das gleiche über unseren Papa.“
Sara fühlt sich plötzlich komisch. Sie fühlt sich, als liegt da was Schweres auf ihrer Brust.
„Und was sagt meine Mama dann?“
„Dass ein guter Su… Sukku… äh… Suksulent -“
„Meinst du Sukkulent?“
„Ja genau! Äh, also ein guter Sukkulent braucht vielleicht ein bisschen Regen. Aber vor allem braucht er viel Sonnenschein.“
Sara zieht die Stirn kraus, schaut in die Ferne und dann wieder zu Freddi. „Das versteh ich nicht.“
„Ich auch nicht. Aber vielleicht sollten wir nach ein paar Blumen gucken. Vielleicht geht’s dir dann besser?“ Freddi streckt die Hand aus und lächelt Sara an. Diese lächelt auch und nimmt die Hand ihres Freundes. Als sie diese ergreift, fühlt sie sich besser. Weniger traurig. Und sie denkt an viele bunte Gänseblümchen.
„Das wäre schön!“
Freddi zieht Sara auf die Beine. Dann gehen die beiden los. Allerdings schaut Freddi immer wieder zu der Schneise, die sein Bruder mit seinem Schwert geschlagen hat. Von dem Weg will er sich und auch Sara fernhalten.