Die Welt da draußen

Text: Christinchen Instagram Twitch
Bild: Pexels ????? ???????
CN: Krieg, Luftalarm, Bombardierung von Wohngebieten und Zivilisten, Beschreibung von religiösen Ritualen/Gebet, Tod, Trauma

Sina blickte aus dem Fenster, ihr Blick fest auf… Nein, eigentlich blickte sie auf gar nichts. Ihre Augen ruhten unsehend auf dem Fenster, auf dem Horizont, auf dem Himmel. Immer darauf bedacht zu reagieren, wenn sie das Leuchten der Raketen sah.

Sie war einfach nur noch müde, so unendlich erschöpft. Jeder Tag war der gleiche, nichts änderte sich. Sie blickte aus dem Fenster, ihre Schwester neben ihr, und wenn die Raketen in der Ferne leuchteten und die Sirenen ihren lauten Alarm in den Wind heulten, nahmen sie ihre Taschen, die immer gepackt an der Tür stand, und liefen los.

Der Weg war einfach, sie kannten ihn in und auswendig. Die Straße hinunter, um den tiefen Krater herum, der vor wenigen Tagen noch ein Haus war, genau wie das in dem sie sich befanden.

Der Bunker, der eigentlich kein Bunker war, sondern nur das einzige Haus in der Straße, das einen Keller hatte, würde voll mit Menschen sein, dicht an dicht gedrängt. Weinende, betende Frauen und Kinder, die in den Armen ihrer Mütter schiefen, vor Angst schrien oder genauso teilnahmslos vor sich hinsahen wie Sina es gerade tat.

Sie wollte ihre Augen schließen, nur einen Moment, sie wollte etwas anderes sehen als die endlose Zerstörung vor ihrem Fenster.

In der Ferne erklang leise der Azan vom Turm der Moschee. Ihre Schwester stupste sie sanft an als sich Sina nicht erhob.

»Komm schon«, murmelte Nadia leise.

Sina nickte langsam. Sie wusste nicht wofür sie noch beten sollte. Wenn Gott ihr hätte helfen wollen, hätte er es schon längst getan. Und doch stand sie auf und folgte sie ihrer Schwester.

Das Wasser fühlte sich kühl auf ihrer Haut und oh so gut auf ihrer trockenen Zunge an. Es war rationiert und die Rationen wurden von Tag zu Tag kleiner.

Der Teppich war weich unter ihren Knien und als ihre Stirn sanft aufkam schloss Sina für einen Moment die Augen und wünsche sich einfach weg, egal wohin, überall musste es besser sein als hier.

Langsam ließ sich Sina wieder vor dem Fenster nieder, ihre Schwester neben ihr, denn es gab nur noch sie beide.

»Ich gehe auf den Markt«, sagte Nadia nach einem langen Moment der Stille. Sina nickte, ihr Blick auf dem Horizont, dass sie das Leuchten der Raketen nicht verpasste.

»Beeil dich, es war zu lange still«, rief sie als Nadia zur Tür ging.

Sina wusste nicht wie lange sie vor dem Fenster saß. Nichts änderte sich da draußen, nichts geschah und doch kostete es sie unendliche Anstrengung hier zu sitzen.

Ein schwarzer Schatten in ihrem Augenwinkel ließ sie zusammenfahren.

»Was..?«

Und wieder huschte der Schatten vor dem Fenster vorbei. Sina drehte den Kopf, reckte den Hals und dann sah sie es. Ein kleines, schwarzes Fellknäuel balancierte auf ihrer Fensterbank. Sie beobachtete das Wesen einen Moment. Sollte Sie das Fenster öffnen und es hereinlassen?

Ihre Finger schlossen sich um den Griff des Fensters bevor sie sich bewusst war einen Entscheidung getroffen zu haben.

»Hi«, flüsterte sie leise als die Katze sie neugierig ansah. »Mein Name ist Sina. Ich kann dir leider nichts zu essen anbieten.«

Sie dachte an das letzte Stück trockenes Brot, das in der Küche lag und hoffe das Nadia auf dem Markt erfolgreich sein würde.

Die Katze zuckte zusammen und war mit einem Satz im Inneren der Wohnung und in Sina’s Schoß. Einen Augenblick später wusste Sina warum. Die Sirenen heulten los und Sina sprang auf. Sie bewegte sich vollkommen im Autopilot.

Erst als sie zwischen all den anderen Frauen im Bunker stand wurde ihr bewusst, dass sie die kleine Katzen fest an sich gepresst hielt. Das Tier sah sie mit großen Augen an und schien genauso verwundert wie Sina. Doch als Sina es vorsichtig hinter den Ohren kraulte, schnurrte es leise.

Ihre Augen flogen über die Menge an Menschen, verzweifelt hoffte sie Nadia irgendwo zu sehen. Sie drängte sich durch die Menge doch nirgends konnte sie ihre Schwester sehen.

Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit, doch sie weigerte sich in Panik zu verfallen. Die Katze schnurrte lauter. Wenn Sina ihr Gesicht ganz dicht an sie presste, konnte sie die Explosionen in der Ferne fast nicht hören.

Endlich kam das Signal, dass sie wieder in ihre Häuser zurück konnte. Sina rannte den ganzen Weg. Mehr Geröll und mehr Zerstörung um sie herum als zuvor. Sie rannte in ihre Wohnung, Nadia’s Namen auf ihren Lippen, doch sie fand nichts als Leere vor.

Sie wusste nicht wie lange sie da stand bevor sie sich wieder bewegen konnte. Sie fühle sich leer und so unendlich erschöpft.

Sina setzte sich ans Fenster, ihr Blick auf dem Horizont. Die kleine Katze lag auf ihrem Schoß, immer an ihrer Seite, denn es gab nur noch sie beide.