Wordpresscover Es war, es ist, es wird von Neonregen. Schreibmaschine, Weißes Blatt, lettern Once upon a time.

Es war, es ist, es wird

Von ©Inge SaintLaurent zur Wpd? Aufgabe März 2025
Die Texte wurden nicht lektoriert und korrigiert und geben den Einsendungszustand wieder.

Sie ist ein Schatten unter Schatten. Fahles blaues Licht wabert durch den Raum, beleuchtet diffus das Innere der Kathedrale. Endlose Regale, nur als Schemen erahnbar, ragen empor zu einem Deckengewölbe, einem weit entfernten Himmel. Blau leuchtet ihr Inhalt, blau pulsierend zu einem längst vergangenen Herzschlag. 
Hier ist ihr Ort, ihr Reich. Auf nackten Füßen, lautlos schreitet sie durch die Halle, durch die labyrinthartigen Gänge. Nervös, gehetzt. Die abstrakte Schönheit dieses Ortes ist für sie nicht sichtbar. Nicht die Regale, nicht ihr Inhalt. Ein längliches blau pulsierendes Plastikmärkchen in ihrer Hand, sie spielt damit, lässt es durch die Finger gleiten. Tastet die Kette ab, die daran befestigt ist Perle um Perle, gleich einem Rosenkranz. Flüstert dabei Worte in ihrer eigenen undefinierbaren Sprache.
Abrupt hält sie inne. Ein Zittern durchfährt ihren Körper, die Finger verkrampfen.
Das Plastikmärkchen entgleitet ihren starren Händen, fällt lautlos zu Boden. Die Stille erdrückender als zuvor. Ihre Lippen beben, die Augen geweitet, zuckende nervöse Lider.
»Es war einmal ...« Flüstert eine Stimme, die nicht die ihre ist.
Ihre Antwort ein Schrei, stumm, qualvoll.
»Nein.« Keucht sie und starrt vor sich auf das stille Stück Plastik.
»Nein.« Ihre Fingernägel kratzen über den blanken Hallenboden. Die Kathedrale beginnt sich aufzulösen, zu zerfasern, will zerspringen.
Mit der Faust schlägt sie auf den Boden, presst ein weiteres »nein« zwischen ihren Lippen hervor und zwingt den Raum zurück ins Jetzt.
Sie wankt, Übelkeit überkommt sie. Sie spukt aus, richtet sich auf. Packt das Märkchen an der Kette und rennt los. Sie hetzt durch die Gänge, durch die verwinkelte Gassen, voller Regale, voller Plastikmärkchen. Sie quillen aus Karteikästen, aufgereiht, angepinnt wie Schmetterlinge, Überlagern überhängen sie sich an ihren Ketten. Sie fliegt durch diese Bibliothek aus Worten, aus Erinnerungen.
»Es war einmal ...« Sie stoppt, blickt sich um in der matt erleuchteten Leere.
Niemand ist hier, niemand und tausend und Millionen Augen, Münder, Worte. Aufgebahrte Gedanken, Erinnerungen, Gespräche, Gefühle. Leben.
Leben, wie es war, einmal.
Sie blickt auf die Kette, den Anhänger, ein Pendel, das unheilvoll daran schwingt. Dieses kleine Stück Plastik, ihr Verhängnis. Sie hat alles erreicht, alles und noch viel mehr. Sie hat Macht über das Leben, über den Tod, über diesen Raum, diese Welt, nur dieses Plastikmärkchen, diese einzelnen Worte, diese eine Erinnerung.
»Es war einmal ...«
Die Stimme ein süßlicher Klang, hell, bestimmt. Die Stimme einer Frau.
»Viviane« sie hält das Stück Plastik an ihre Stirn. Lässt sich hinabziehen in diese Erinnerung.
Die große Halle, so ähnlich ihrer blauen Kathedrale, nur hell, lichtdurchflutet. Weiße Säulen, weißer Marmor. Eine fühlbare, erleuchtende Stille.
»Es war einmal ...« Viviane steht an eine Säule gelehnt, einen Zigarillo in der behandschuhten Hand. Ihre goldenen Armreifen klimpern, während sie sie zu den Lippen führt.
»So beginnen Märchen.«
»Ja?« Ihre Lippen lösen sich vom Tabak. »Dann sag mir, warum dies kein Märchen ist.«
»Es ist die Wahrheit.«
»Die Wahrheit.« Lachend stößt Viviane den Rauch aus ihrem Mund.
»Du kennst die Wahrheit nicht, Karitryell« Sie löst sich von der Säule, kommt langsam auf sie zu. Beugt sich zu ihr herunter. Ihre Handschuhe sind weich, feinstes weiches Nappaleder. Dazu der Tabakgeruch, niemals wird sie diese Berührung, diesen Geruch vergessen. »Es WAR einmal, du kennst die Wahrheit nicht, weil du den Anfang nicht kennst. Weil du.« Ihre Finger umfassen ihr Kinn, pressen zu. »Die Zeit nicht beherrschst, und es auch niemals wirst, solange ich lebe.«
»Ich beherrsche die Zeit, ich beherrsche das Leben, ich bin unsterblich.«
»Unsterblich ja.« Viviane hat sich von ihr abgewandt. Blickt kopfschüttelnd hinauf zur Decke.
»Aber du kannst nur nach vorne, niemals zurück.«
Sie spürt die Kühle des Bodens, das Stück Plastik zwischen ihren Fingern, hört sie noch den Nachhall von Vivianes Absätzen auf dem Marmorboden.

Das Plastik wird weich, der Boden warm, ein abgewetzter Couchbezug. Das Blau löst sich auf. Wird zu flackernden Neonlichtern, zum Rauschen der Nacht. Den Geräuschen der Straße, der Lärm, zuckend, störend, grell. Fliehende Schatten an ihrer Zimmerdecke.
Ein nerviges Trommeln von Fingerknöcheln an ihrer Tür. »Kay, bist du da?«
»Ja, ... ich bin da.«

Links zu den Videos:

Twitch: https://www.twitch.tv/videos/2439512378
YouTube: https://youtu.be/uTZb5PJyCNY


1 thought on “Es war, es ist, es wird

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner