Spuk in Athelhampton House

Text: StefShepardRox
CN: Klaustrophobie

Geschätzter Albert, in letzter Zeit passieren schaurige Dinge in meiner Umgebung. Dinge verschwinden, Geräusche in der Nacht. Ich glaube, ich verliere den Verstand. Ich weiß, es ist viel verlangt, aber bitte komm so schnell wie es dir nur möglich ist. Ich brauche dringend deine Hilfe, ich weiß nicht mehr, wem ich vertrauen kann, doch du warst mir in meiner Jugend immer so ein treuer Freund.

Dein alter Gefährte, Winston Claymore.

Werter Winston, es grämt mich sehr, dass es dir so schlecht ergeht. Ich werde mich sogleich auf den Weg nach Athelhampton House in Dorset machen. Ich habe den Ort in liebevoller Erinnerung von unseren Jugendtagen und freue mich sehr auf ein Wiedersehen mit dir und dem alten Gemäuer. Verzage nicht, wir werden dem Spuk schon Herr werden, immerhin haben wir auch einen Weltkrieg gemeinsam gewonnen! Ich bin übermorgen Mittag am Bahnhof.

In althergebrachter Zuneigung, Albert Winchester

Albert setzte sein Siegel auf den Brief und überreichte ihn seinem Assistenten. „Sende ihn sogleich ab und dann hol mir bitte meine Koffer vom Dachboden, ich werde übermorgen verreisen.“
„Gewiss. Was wird eure werte Frau dazu sagen Sir?“
„Die wird sagen: Endlich ist er mal wieder auf Reisen und schwatzt mich nicht dauernd mit seiner Käfersammlung voll.“
„Sir?“
„Ach, du kennst sie doch Harold. Sie kommt bestens ohne mich klar. Bestimmt freut sie sich, sich wieder heimlich mit ihren Suffragetten zu treffen oder wie die Damen sich nennen.“
„Sir!“
„Ja Harold, ich unterstützte das Frauenwahlrecht. Warum sollten die, die sich tagein, tagaus mit uns Männern herumplagen müssen, nicht auch wählen dürfen. Es ist nur gerecht. Aber nun lauf, auf dass du den Postboten noch erwischt, ich muss packen.“ Albert machte eine wedelnde Handbewegung und sein Bediensteter verneigte und trollte sich.

Albert ging in den Keller und holt das alte Kofferradioempfangsgerät herauf. Es hatte nie richtig funktioniert und war eines der Ersten seiner Art, jedoch war er sich sicher damit Stimmen aus einer anderen Welt empfangen zu haben, an jenem Abend als er und einige Freunde sich zu einer Seance getroffen hatten, war das Gerät unvermittelt angesprungen und hatte seltsame Wortbrocken ausgespuckt. Er war fest entschlossen es mitzunehmen. Dazu legte er auch das schöne, handgeschnitzte Quijabrett dass ihm und seiner Frau schon an manchem Abend die Haare zu Berge hatte stehen lassen. Er drappierte beides auf seinem Bett und durchwühlte im Anschluss seinen Kleiderschrank nach robuster Reisekleidung und den guten, warmen Socken. Jeder wusste, dass es in Dorset gerne regnete.

Wie er erwartet hatte, nahm seine Frau die Nachricht gut auf. Sie waren immerschon die besten Freunde gewesen und sie freute sich für ihn, dass er auf ein kleines Abenteuer mit seinem alten, besonderen Freund Winston gehen würde. „Bleib ruhig eine Weile bei ihm, das wird dir gut tun,“ ermutigte sie ihn gar und so saß er am übernächsten Morgen mit bester Laune und mehr Kleidung als ursprünglich geplant, im Zug nach Dorset.

Winston wartete bereits am nächstgelegenen Bahnhof auf ihn und Gemeinsam fuhren sie in seinem neuen Wagen nach Athelhampton House.
Das Anwesen mit seinen üppigen Gartenanlagen war noch genauso traumhaft schön, wie Albert es in Erinnerung hatte. Als würde eine Fee darin hausen, lag es umringt von alten Bäumen, verträumt, verwunschen da. Sie fuhren knirschend die geschotterte Einfahrt hoch. Der Wagen hielt vor dem Eingang und die Männer stiegen aus. Ein Butler kam heraus und half ihnen mit den Koffern.
„Niles, wir werden den Tee im Garten zu uns nehmen.“
„Gewiss Sir.“ Der Butler verneigte sich und trug die Koffer nach oben.
„Komm Albert, lass uns in den Garten gehen, dort können wir frei sprechen. Ich habe das Gefühl die Wände hier haben neuerdings Ohren.“
Sie gingen den Gartenpfad entlang, durch kleine Oasen aus Springbrunnen, Pflanzen und Mauern hindurch, zu Alberts Lieblingsgarten. In der Mitte sprudelte ein kleiner Brunnen in Form eines großen Kelches, darum führte ein schmaler Weg, der von Blumen gesäumt war. Abgeschottet durch eine Ziegelmauer, deren Oberseite von verkehrten Halbmonden gesäumt war, die in Obelisken mündeten. Es war immer ihr Garten gewesen. Hier hatten sie Träume und Sehnsüchte geteilt, verrückte Ideen und Liebesschwüre ausgetauscht. Winston hatte ein Tischlein mit zwei Stühlen aufstellen lassen, auf denen sie platz nahmen. Als Niles den Tee gebracht und sich wieder entfernt hatte, platzte es aus Albert heraus: „Also, was ist los? Es scheint doch alles beim Alten zu sein.“
Winston legte seine Hände, auf die des Gefährten und seufzte. Einige Augenblicke des Sammelns später antwortete er: „Ach Albert, nichts ist beim Alten. Ich wollte den Weinkeller erweitern und habe eine Mauer durchbrechen lassen. Dabei sind wir auf ein wahres Labyrinth an alten Kellern und Gängen gestoßen. Seither ist es, als hätten wir das Tor zur Anderswelt selbst aufgestoßen. Dinge Verschwinden, man hört Schritte aus dem Weinkeller und Stimmen, selbst wenn man zuvor unten war und gesehen hat, dass dort niemand ist. Im großen Salon fallen immer wieder Degen von der Wand und ich schwöre, ich habe die weiße Lady auf der Treppe stehen sehen.“
„Die weiße Lady?“
„Ja, ein Geist der hier wohl seit langem spuken soll. Ich hab sie gesehen. Ich bin mir ganz sicher!“
„Das klingt ja bizarr. Und du bist dir sicher, dass der Keller nicht einfach zu anderen Kellern in der Gegend führt? Eine art Fluchttunnel vielleicht? Und von einem anderen Haus die Schritte und Stimmen kommen?“
„Wir haben noch nicht gewagt, alle Keller zu erkunden. Aber du und ich gemeinsam können es versuchen.“
„Das werden wir gleich nach dem Tee in Angriff nehmen.“ Albert drückte die Hand des Freundes, die die Seine immer noch umschlossen hielt und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Aber nun erzähl, wie ist es dir abgesehen von Hausgeistern ergangen?“

Die alten Kriegskameraden bewaffneten sich mit Taschenlampen und stiegen in den Weinkeller hinab. Es war kühl hier unten und der typisch modrige Geruch eines Erdkellers stieg ihnen in die Nase. Der Weinkellerboden bestand aus gestampftem Lehm, nur die Wände waren gemauert. An denen entlang standen hölzerne Regale, prall gefüllt mit verstaubten Weinflaschen, die die Familie offenbar bereits seit vielen Jahrzehnten sammelte. Im hinteren Teil war eine Wand durchbrochen worden, die Ziegel hatte man ordentlich zur Seite geräumt und dahinter erstreckte sich ein dunkler Erdtunnel. Albert richtete den Kegel seiner Taschenlampe hinein. Die Wände des Ganges waren behauene Steine, auch der Boden war hier gepflastert. Ein kühler Windhauch strich ihnen durch das grau melierte Haar. „Wie weit wart ihr schon drinnen?“
„Oh, ein ganzes Stück.“ Winston war kein Feigling und er würde den Teufel tun und zulassen, dass ihn ausgerechnet Albert für einen hielt. „Komm, ich bring dich hin.“ Er trat in den Gang und leuchtete voraus.
Ihre Schritte klangen hohl in der schwarz ummalten Stille des Kellers. Tiefer und tiefer drangen sie vor. Der Gang veränderte sich. Die Wände waren nicht länger mit behauenen Steinen verkleidet. Sie fanden Abzweigungen in andere Kellerräume, die allesamt leer waren. Winston zählte achtzehn Räume und hielt an. „Bis zu diesem hier sind wir bislang gegangen. Möchtest du weiter?“
„Ja. Lass uns gehen.“
Um die Orientierung nicht zu verlieren, malten sie Pfeile in den Staub. Sie stießen auf ein großes Loch im Boden, das schräg hinabführte, ein weiterer Gang.
Winston runzelte die Stirn. Ein kalter Lufthauch fuhr ihnen durch die Kleider. „Willst du da runter steigen?“
„Jawohl. Was soll schon passieren?“ Albert leuchtete in das Loch und stieg hinein. Er verschwand etwa bis zur Höhe seiner Oberschenkel. „Tiefe Erdstufen hier. Das geht. Komm wir …“ Die Taschenlampen flackerten. Eine eisige Windböe warf sie fast um und in jenem Moment erloschen beiden Lichter.
„Verdammt,“ fluchte Albert.
Sie saßen in einer tiefschwarzen Suppe aus finsterster Finsternis unter Tage fest. Winston fühlte Urängste in sich aufsteigen. Wände die auf ihn zurasten, Erde die ihn zerdrückte. Nie wieder die Sonne zu sehen. Auf ewig hier im Dunkeln herum zu irren… eine Hand packte ihn am Arm. Er schrie.
Albert zog sich an ihm hoch aus dem Loch. „Haha, bin nur ich, keine Panik alter Freund. Komm, suchen wir den weg zurück. Der Gang verläuft ziemlich gerade, solange wir in keinen Kellerraum abbiegen, sollte alles gut gehen.“
Blind tastete sich Winston den Weg zurück, immer die kühle Wand entlang. Seine Finger glitten über bröselige Erde. Kleine Steinchen lösten sich, rieselten leise zu Boden. Flackernd gingen die Taschenlampen an.
„Was zum…?“
„Hm. Nun zumindest haben wir wieder Licht. Möchtest du nach oben oder wolln wir es nochmal versuchen?“ Albert klang selbst unsicherer als noch vor zehn Minuten.
„Lass uns nach oben gehen. Für heute hab ich genug. Wir kommen morgen zurück und nehmen auch Laternen mit.
Sie gingen zurück ins Haus, die Schritte wesentlich schneller als zuvor. Der Schrecken saß tief unter gänsehautbewehrter Haut.

Albert erwachte mitten in der Nacht vom Schnurren einer Katze an seinem Ohr. Etwas schmiegte sein flauschiges Köpfchen an seine Wange und stubbste ihm mit einer Samtpfote auf die Brust. Verschlafen streichelte Albert das Tier, das schließlich vom Bett sprang. Er hörte krallenbewehrte Pfoten über den Holzboden tapsen und an der Tür kratzen. Albert seufzte, rutschte aus den Armen von Winston, zog sich sein Hemd über und stieg in seine Hosen. Er schlich zur Zimmertür um die Katze raus zu lassen. Kaum dass das weiße Tier draußen war, stubbste es ihn ans Hosenbein und lief einige Schritte voraus. Er sollte wohl folgen. Bestimmt wollte sie aus dem Haus gelassen werden. Gähnend folgte er der Katze nach unten, doch anstatt zur Haustür, lief sie zur Kellertür und kratzte daran. „Was willst du denn da unten?“ Albert hatte schon öfters gehört, dass Tiere Hilfe holten, wenn Menschen in Gefahr waren. Er sollte besser einmal nachsehen. Er griff sich eine der Taschenlampen die sie am Eingang abgestellt hatten und öffnete die Tür. Kaum geöffnet, glitt die Katze hindurch und lief die Treppen hinab. Albert hinterher. Zielstrebig trabte das Tier zum Mauerdurchbruch und weiter hinab in die geheimen Keller. Ihm wurde etwas bang ums Herz. Hoffentlich würde die Taschenlampe diesmal halten. Wo die Katze wohl hin wollte? Seine Pantoffeln tappten über den gestampften Lehm des Kellerbodens. Tap, tap, tap,…
Die Katze führte ihn tiefer und tiefer hinab, bis hin zu dem ominösen Loch in der Erde. Diesmal wehte ihm ein warmer, fast frühlingshafter Hauch von unten entgegen. Die Katze sprang hinab… „Warte! Das ist gefährlich!“, rief er hoffnungslos hinter dem Fellknäuel her. Die Lampe flackerte diesmal nicht und so fasste er sich ein Herz und stieg in das Loch hinab. Unten angekommen waren die Wände eng und aus gewachsenem Fels gehauen. Es war staubig muffig. Hier war bestimmt seit Jahrhunderten niemand mehr gewesen. Ob die keltischen Ahnen diese Keller angelegt hatten? Er schob sich weiter durch die Gänge, bog um Kurven, immer dem weißen Katzenpo hinterher, der vor ihm her trabte. Der Gang wurde niedriger. Albert musste auf allen Vieren weiter krabbeln und gelangte schlussendlich an eine Stelle, wo er sich nur noch auf dem Bauch weiter schieben konnte. Innerlich verfluchte er sich für seine Dummheit. Niemand würde ihn hier finden. Er trug nur ein einfaches Hemd und Pantoffeln. Was dachte er sich dabei? Doch der Gang schrie nach ihm. Er musste weiter. Musste tiefer in den Keller hinab. Der Kriechpfad beschrieb eine Kurve. Albert hörte leises Summen. Wie besessen robbte er weiter vorwärts. Seine Brustwarzen schmerzten vom Herumrutschen auf dem harten Erdboden. Er hatte kaum noch Spielraum, schob sich mit Fingern und Zehen voran. Rückten die Wände näher aneinander? Dann sah er es … ein Raum tat sich vor ihm auf, in blasses lila gehüllt. Die sphärisch summende Stimme war hier deutlich zu hören. Die Katze saß vor der gegenüberliegenden Wand, die wie ein See bei Mitternacht glänzte und funkelte, als würden sich Sterne darin widerspiegeln … Er wollte es berühren. Musste es anfassen. Alles in ihm schrie danach, doch sein Körper kam nicht vorwärts. Er saß fest. Albert wand und strampelte, zog und hampelte, schob die Arme aus dem Loch, stützte sich an den Seitenwänden ab und zog sich mit aller Kraft aus dem Kriechgang. Er stürzte zu Boden und blieb keuchend liegen. Wie gebannt starrte er auf den schwarzen Teich an der anderen Wand. Auf Händen und Knien krabbelte er darauf zu. Der Mund stand ihm offen, nie hatte er etwas schöneres gesehen. Er streckte die Hand aus, griff ins Leere. Wellen kräuselten die Oberfläche des Sees und er verschwand.

Winston erwachte und wollte sich an Albert kuscheln, doch der war verschwunden. Bestimmt war er kurz austreten. Doch auch nach etlichen Minuten war er immer noch alleine. Winston stand auf und schlüpfte in seine Kleider. Alberts Kofferradio sprang an und rauschte. Er fiel vor Schreck zurück ins Bett und starrte den Apparat an. Aus dem weißen Rauschen formten sich Worte: -finden- … -Albert- … -Dimension- …
Er starrte den Apparat an, als wäre es ein Dämon aus der niedersten Hölle.
-Albert- … -im Garten- … -im Garten- … -geh in den Garten-
Winston hatte eine Gänsehaut. Aber der Spuk war eindeutig. Albert war in Gefahr. Entschlossen sprang er auf, schnappte das Kofferradio und lief nach unten. Er schnappte sich eine Taschenlampe vom Kellerabgang und registrierte mit Entsetzen, dass die zweite fehlte.
-Garten- … -komm in den Garten-
Er stürmte aus dem Haus, nahm immer zwei der Stufen des Gartenweges auf einmal. Es gab nur einen Ort im Garten, wo er sein konnte. Winston stolperte durch das Gartenportal in ihren geheimen Bereich trauter Zweisamkeit. Der Schein der Taschenlampe fiel auf einen nackten Mann. Albert. Er lag vor dem Brunnen, nass und voller Dreck. Die Oberfläche des Wassers spiegelte die Sterne wieder, als er sich bückte um seinen Freund zu wecken.
„Albert, Albert wach auf!“
Albert räkelte sich verschlafen. „Was ist passiert?“ Er blickte sich verwirrt um.
„Ich weiß nicht, sag dus mir. Ich hab dich hier nackt im Garten gefunden. Bist du schlafgewandelt?“
„Nein ich… ich bin eurer Katze gefolgt. Der weißen.“
„Wir haben keine Katze!“
Wie aufs Stichwort rieb sich eine weiße Mieze an Winstons Bein, sprang auf den Rand des Brunnens und mit einem Satz war sie darin verschwunden.